Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopernikus 2

Kopernikus 2

Titel: Kopernikus 2
Autoren: H. J. Alpers
Vom Netzwerk:
mit Blasen verziert waren, schienen Filmszenen und Photographien aus Anzeigen nachgezeichnet worden zu sein. Moreys Zeichenstil war so ausdruckslos, seine Farben so matt, die Gesamtwirkung so ohne Leben, daß man an dem Künstler unweigerlich eine pathologische Nervenschwäche diagnostizierte. Und was den Pionier Paul anging, so hatte dieser nicht den leichten Zug, sondern die schwere Hand bewußter und unbewußter Clownerie.
    Aber waren die Erzählungen, die diese Männer illustrierten oder die zu illustrieren ihnen mißlang, besser? Wahrscheinlich nicht. Zu oft waren sie hastig erzählt, Notlösungen von Männern, die zu sehr in Eile waren. Keine von ihnen hielte einer eingehenden Betrachtung stand. Man denke zum Beispiel an diese peinlichen pseudodichterischen Züge in Who Goes There?, die schlampigen Widersprüche in den Einzelheiten in Farewell to the Master, den völligen Fehlschlag von Universe, sein vielversprechendes metaphysisches Thema dramatisch zu verwirklichen, und die grundlegende psychologische Absurdität von Nightfall – eine Menschenrasse, die niemals die Augen zumachte. Beim Lesen waren ihm diese Mängel sozusagen nur als irrelevant zu Bewußtsein gekommen, aber jetzt, im Rückblick, fielen sie ihm deutlich auf; dabei erfüllte ihn aber kein Gefühl der Desillusionierung, sondern eher die unwillkürliche, unbeabsichtigte Gewißheit, die mit wahrer Einsicht einhergeht. Es war nicht so, daß er etwa nicht auf die Erzählungen „schaute“ – er „durchschaute“ sie. Vor ein paar Minuten hatten sie noch geschillert, jetzt waren sie durchsichtig. Welch merkwürdiges Genre, in dem solche Erzählungen als „Klassiker“ galten! Und doch waren sie die Klassiker, und mit vollem Recht, denn sie waren es, die die wagemutigsten Einfälle mit den breitesten und kühnsten Strichen hinwarfen. Die Geschichten beruhten auf Ideen, aber das richtige Wort für sie war schließlich doch nicht „Phantasie“. Nein, gerade die Phantasie war es, woran es ihnen ermangelte – wie dieses Urteil Ellsworth erstaunen würde! Diese Erzählungen waren unzureichend spekulativ, sie erhellten das Leben nicht, sie klärten es weder, noch kritisierten sie es. Kurzum, sie waren nicht ernsthaft; er hingegen – er war ein ernster Mensch. Er verspürte einen Hunger nach etwas Sättigendem und Gehaltvollem, das Bedürfnis, sich mit etwas auseinanderzusetzen. Es mochte doch irgend etwas in der Literatur geben, das ihm und für ihn etwas bedeuten würde, etwas zugleich Realistisches und Spekulatives, etwas, das mit seinem wirklichen Leben zu tun hatte und doch nicht beschränkt war. Solche Bücher gab es. Er wußte, daß es sie gab. Er kannte ihre Titel, hatte in einige hineingeguckt, aber als er sich jetzt umblickte, bemerkte er keines von ihnen in den aufeinandergetürmten Apfelsinen- und Äpfelkisten, die ihm als Buchregale dienten. Hier gab es keine Exemplare von Emma, Little Dorrit, Die Brüder Karamasow, Middlemarch, Krieg und Frieden, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Ulysses zu finden, nichts außer einigen SF- und Kriminalromanen in Taschenbuchausgaben, die ihn nicht befriedigten. Das Leben war sicher zu kurz, um es mit der Lektüre solchen Zeugs zu verschwenden.
    Und als sein Blick den Raum durchstreifte, er die Magazine und Bücher und Möbel betrachtete (es wurde ihm bewußt, wie einfallslos das Muster des Bettzeugs war: es hätte von Morey sein können), kam sein Auge wieder auf Mr. Waters zu ruhen, der ihn noch immer mit jenem nachdenklichen, jenem rätselhaften Ausdruck betrachtete. Selbst ein bißchen nachdenklich geworden und mehr als ein bißchen ernüchtert, griff er hinauf, um die Brille abzunehmen und sie dem Alten zurückzugeben.
    Als die Finger die Fassung berührten, machte es Klick!, und das letzte Paar Linsen fiel herab.
    Diesmal zuckte er nicht zusammen. Aber ihn durchschoß, wie ein Pfeil des Apollo (sein eigener spontaner Vergleich), die Frage: „Was kann es mehr geben?“ Was mehr, wahrhaftig? Er blickte sich im Zimmer nach einer Antwort um und sah es aus einer merkwürdig verdoppelten Perspektive, als sei er zugleich weit weg und sehr nahe. Er war fern, er war sehr fern, aber die Vierfachlinsen holten ihn herbei. Auf die gleiche Weise mochte einer von Wells’ Marsmenschen die Erde betrachtet haben. Und erkannte alle die anheimelnden Dinge um sich, als sähe er sie zum ersten Mal … oder zum letzten Mal. Jeder ganz gewöhnliche Einrichtungsgegenstand und Notbehelf im Zimmer bot sich ihm mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher