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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt
Autoren: David Albahari
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die im kosmischen Ödland mit den Zähnen klappern, was aber noch lange nicht heißt, dass die Seelen nicht existieren und dass wir nicht alles in unserer Macht Stehende unternehmen müssen, um sie genauso zu schützen wie bedrohte Tierarten. Die Seelen sind in der Tat bedroht, man tötet sie gnadenlos wie junge Robben, allerdings mit dem Unterschied, dass gegen das Töten der Robben weltweit protestiert wird, aber niemand, absolut niemand zum Schutz der armen Seelen aufruft. Doch genug davon, wer verstanden hat, der weiß es, wer nicht, wird es wahrscheinlich nie begreifen. Der Krieg ist übrigens niemandes Bruder, das muss man sich merken, weil diese Aussage wichtiger zu sein scheint als die Behauptung Heraklits, dass der Krieg der Vater aller Dinge ist. Und die Mutter, möchte man gleich fragen, wo bleibt die Mutter? Darüber lässt sich Heraklit nicht aus, oder dieser Abschnitt blieb nicht erhalten, oder wir haben ihn nicht aufmerksam genug gelesen. Egal, diese Klasse kann nicht wiederholt werden, der Kommandant wird ohnehin seine Liste der Verstorbenen, Getöteten oder Verschollenen weiterführen, und so werden sich alle, die dazu ber eit sind, von den Vorteilen eines wirksamen Alarmsystems und der Ankündigung von Luftangriffen selbst überzeugen können und kapieren, dass es dann ratsam ist, den erstbesten Luftschutzkeller aufzusuchen, sich etwas über den Kopf zu ziehen und abzuwarten, dass alle Geräusche verstummen. Dann hört man wahrscheinlich nur noch das Zähneklappern der Seelen wie eine musikalische Untermalung, zum Beispiel von Mike Oldfield oder von Soft Machine. Übrigens, jeder Soldat muss über den Tod nachdenken, mit dem Unterschied, dass ein Amateursoldat es auf laienhafte und ein Berufssoldat es auf professionelle Art tut, was bedeutet, dass der Letztere über den Tod nicht anders nachdenken wird als über einen Paragraphen im Vertrag mit seinem Arbeitgeber. Der Amateursoldat jedoch meint, wie alle Laien, von den Dingen auf pompöse Art sprechen zu müssen, mit langen Wörtern und in Schachtelsätzen. Er wird daher sagen, dass »die Absorption von nicht homogenen Phänomenen, einschließlich der Ausbeutung des Todes als universaler Erscheinung, eine ziemlich grandiose Konspiration und, man darf es freimütig sagen, eine Konsternation ist, was definitiv die negative Ladung aller unserer Aspirationen akkumulieren wird«. Und während der Berufssoldat bei solchen Behauptungen nur abwinkt, widmen die Amateursoldaten ihnen die besten Stunden und Tage ihres Lebens. Sie wiederholen solchen Unsinn, als sei es das höchste Mantra, das sie senkrecht über das Schlachtfeld erheben wird, auf dem weniger glückliche Pechvögel ihr Leben wegwerfen wie Bonbonpapier. Unglaublich, was einem alles einfällt, wenn man mit dem Tod konfrontiert wird! Es gibt zwar solche, die meinen, die Aufforderung zum Kämpfen sei keine Aufforderung zum Sterben und der Krieg würde nicht um des Todes, sondern um des Lebens willen geführt. Sogar den Kommandanten hörten wir einmal sagen: Der Krieg ist das Leben und nicht der Tod. Ja, er hat das vor sich hin geflüstert, ohne zu bedenken, dass ihn jemand hören könnte, aber das ändert nichts an der Sache. Ein Wort ist ein Wort, gleich ob geflüstert, gerufen oder eingeworfen. Lediglich wenn man philosophiert, ist ein Wort vielleicht kein Wort mehr, obwohl es schwer ist zu sagen, was es dann ist. Ein Instrument? Da sieht man mal, wir sind hierhergekommen, um den Kontrollpunkt zu bewachen, doch stattdessen beschäftigen wir uns mit Wörtern und philosophischen Begriffen. Und zwar nicht nur eine oder zwei Stunden lang: In einem solchen philosophischen Rausch vergehen ganze Tage, und es sollte uns nicht wundern, wenn draußen inzwischen die Blätter bunt und die Äpfel und Birnen zum Pflücken reif geworden sind. Unmöglich, sagte der Kommandant und sah auf die Uhr, wir sind erst eine Woche hier. Länger, brüllte die Menge wie ein Mann, und der Kommandant machte einen Rückzieher. Warum sollte ich sie provozieren, sagte er sich, wenn ich die Möglichkeit habe, sie jederzeit an Klugheit zu übertrumpfen? Jemand mag jetzt vielleicht denken, dass es in der Kompanie an allen Ecken knirschte und diese wie ein Nachen auf dem Meer schaukelte, aber da wäre er ganz und gar auf dem Holzweg. Wir funktionierten wie ein tadellos eingespieltes Team, und ein Außenseiter wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass mit uns etwas nicht stimme. Nicht einmal ein neuer Tod warf uns aus der Bahn,
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