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Kommt Schnee

Kommt Schnee

Titel: Kommt Schnee
Autoren: Roger Aeschbacher
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verließ. Seine Stimme hallte durch die Gänge, wo er sich stolzierend auf den Weg in seine Stammkneipe nahe dem Spiegelhof machte. Leute, die ihm begegneten, begrüßte er mit heller und sonorer Stimme zugleich und hatte für jede und jeden einen geeigneten Spruch übrig. In der Eingangshalle warf er dem Wachmann an der Pforte – wie hieß der doch gleich? – einen jovialen Gruß zu, lachte kumpelhaft und rief: »Machs gut für heute! Ciao.«
    »Adieu, Herr Windler«, beeilte sich der Angesprochene zu erwidern und lächelte. Seine Zähne sah man dabei nicht.
    Vor der Tür stapfte Windler frohen Mutes die Schneidergasse zum Rümelinsplatz hinauf. Seinen Mantel schloss er nicht, obwohl sein Armani-Anzug ziemlich dünn war. Die Kälte schien Windler überhaupt nichts auszumachen. Dabei war es bereits so kalt, dass selbst der Schnee sich zurückhielt und nicht fallen wollte. Nicht einmal seinen Seidenschal band sich Windler um den Hals, ließ ihn nur lose von den Schultern herunterhängen, sodass die Enden beim schnellen Schritt seine Beine umflatterten wie Motten das Licht.
    Auf dem kurzen Weg zum Rümelinsplatz und weiter zu seiner Stammkneipe begrüßte er allerlei Leute und hielt mit ihnen einen kurzen Schwatz. Es schien, als hätten sich alle Würden- und hohen Funktionsträger verabredet, um genau während dieser Uhrzeit, kurz vor dem Abendessen, wie zufällig in dieser Gegend zu flanieren. So, wie sie es dort seit Jahrhunderten tun.
    »Grüezi, Herr Direktor«, hieß es hier. »Guten Tag, Herr Professor «, wurde dort ein echter Professor begrüßt – einer mit Urkunde und Siegel und Geld vom Staat und ewiger Beschäftigungsgarantie und zehn Doktoranden, die mit Leib und Leben von seinen Launen abhängen.
    Als Windler endlich in seinem Lieblingsrestaurant eintraf, saß Vonarburg, ein anerkannter Jurist, schon unter der Fasnachtslampe einer der Cliquen, die dort ihren Stammplatz haben. Der Pensionär Vonarburg, dessen einziges Problem war, nicht zu wissen, wie er seine unanständig hohe Pension verbraten konnte, hatte seinen Kopf auf eine Hand gestützt und erfreute sich an Maria, der kroatischen Kellnerin. Die wusste, was sich gegenüber einem so bedeutenden Gast gehörte, und gab sich allergrößte Mühe, ihn für neunzehn Franken Stundenlohn und – vielleicht – zwei Franken Trinkgeld zu bezirzen.
    »Das wird ja vergnüglich werden«, freute sich Windler über die Präsenz von Vonarburg und ließ sich nicht einmal von Dr. Regazzoni, den er auf der anderen Seite des Restaurants zusammen mit einem fremden Gast an einem Tisch sitzen sah, die Freude nehmen. Windler hasste den Gerichtsmediziner, und es nervte ihn, dass Regazzoni – »dieses Arschloch« – sich erdreistete, hier einzukehren. Vielleicht war Regazzonis Gast ein Medizinerkollege von auswärts, und der Gerichtsmediziner wollte ihm eine kleine Touristenführung geben und ihn in eine typische Basler Beiz führen. Aber das hier war seine verdammte Kneipe, sein Revier, und diesen Parvenü wollte er hier nicht sehen.

    Überhaupt.

    War Regazzoni nicht auch schon gestern mit diesem Typen hier gewesen? Hatte sich in eine Ecke gedrückt und mit dem anderen gequatscht? Wenn das noch öfter geschehen würde, müsste er diesem Schlaukopf mal zeigen, wo Bartli den Most holt. Windler erfreute sich ob seiner eigenen Macht, lachte auf und malte sich schon aus, wie er Regazzoni ganz bewusst und ganz direkt und ganz brutal vor dessen Kumpan zu Kleinholz machen würde.
    Als Vonarburg, der mehr Verwaltungsratsmandate als Haare auf seinem Kopf hatte, seinen Kumpan Windler sah, riss er den Arm hoch und rief jovial und mit lauter Stimme quer durch den Saal: »Hoi, Sigi. Alte Schachtel!«
    Windler wurde sogleich angesteckt und lachte und prustete in Vonarburgs Richtung: »Sali, Niggi. Alter Knochen.«
    Dann schlugen sie ein, als hätten sie sich seit Jahren nicht gesehen – sie sahen sich jeden Tag – und unter großem gegenseitigem Hallo ließ Windler sich in den Stuhl fallen, der eine kleine Plakette mit seinem Namen trug. Der Chef der Basler Kriminalpolizei hatte Regazzoni in seiner Ecke schon fast vergessen, und als Direktor Heinrich de Wette eintraf und unter ebenso großem Tamtam begrüßt und in die fröhliche Runde aufgenommen wurde, hatte Windler vollends das Interesse an Regazzoni verloren.
    Als Windler später seine Blase leeren musste, waren Regazzoni und dessen Kumpan schon gar nicht mehr an ihrem Platz. Das ersparte Windler den gehassten
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