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Komm

Titel: Komm
Autoren: Janne Teller
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globalisierten und fragmentierten post-postmodernen Ära ist es mehr denn je so. In höherem Maße als zuvor werden die Künstler von der äußeren Welt beeinflusst, leben in zahllosen persönlichen Welten, die mehr und mehr öffentliche geworden sind, weshalb es keinen Sinn mehr hat, den Künstler von seiner Kunst zu unterscheiden.
    Das Leben des Künstlers an sich ist ein Kunststück, und nur in diesem Licht kann es bewertet werden. Und so ist es in Wirklichkeit immer gewesen.
     
    Unsinn!
     
    Er hört schon das Echo der hohlen Worte, bevor er sie noch einmal durchliest. Was hatte sie gesagt, Petra Vinter: dass Worte nur Repräsentation sind und dass sie erst in ihrer Kombination in Fiktionen etwas mehr bedeuten können als das, was sie an sich bedeuten. Je höher die Potenz, zu der sie erhoben werden, je größer der Sinn zwischen den Zeilen, desto besser die Literatur. Die schöne Literatur. Fachliteratur soll nominal sein. Jedes Wort soll bedeuten, was es bedeutet.
     
    Was ist dann eine Rede: Fiktion oder Wirklichkeit?
    Wen soll er überzeugen?
     
    Ist ein Glas nur ein Glas, weil sich Autor und Leser darin einig sind, dass sie sich beide ein Glas vorstellen, wenn die vier Buchstaben g-l-a-s in genau der Reihenfolge stehen, die dann Glas lautet?
     
    Er denkt wieder an den Abgrund, der gefüllt werden muss. Den Unterschied zwischen dem, der wir sind, und dem, den zu sein wir vortäuschen. Füllt das, was zwischen den Zeilen steht, den klaffenden Abgrund in uns aus?
    Aber dann müssen alle Menschen einen solchen Abgrund in sich haben, warum sollte es sonst in allen Kulturen Kunst geben? Schon die frühesten Höhlenmenschen machten ihre Wandzeichnungen. Wurden unsere Gehirne einst im Glücksrad der Evolution so groß, dass wir die Fähigkeit verloren haben zu existieren, ohne uns gleichzeitig von außen zu unserer eigenen Existenz verhalten zu müssen?
    Wer Katze und niemand war. Wie Pessoa schreibt.
    Er streicht den letzten Absatz.
     
    Ihm fällt das Manuskript des Autors wieder ein, er zieht es zu sich heran. Er hat nur die ersten paar Kapitel gelesen, aber er weiß, dass es keine große Literatur ist. Leicht verkäufliches So-tun-als-ob. Wie solche Sachen eben sind. Er hat aufgehört, so zu denken. Er könnte nicht da sitzen, wo er sitzt, wenn er sich so etwas wie Geschmack erlaubte. Zu beurteilen ist Sache der Kritiker und Leser. Sein Job ist die Veröffentlichung. Herauszugeben, was die Leser wünschen. Seine Aufgabe ist es einzuschätzen, ob ein Manuskript den Erwartungen der Leser entspricht. Nein, nicht mehr. Das war einmal. Heute ist es seine Aufgabe, Leute einzustellen, die einschätzen können, ob ein Manuskript den Erwartungen der Leser entspricht.
    Seine Aufgabe ist es, für die Zahlen für die Aktionäre zu sorgen. Nicht, einen Abgrund zu füllen, dessen sich die meisten nicht einmal bewusst sind.
    Was ist Literatur überhaupt?
    Ein Gefühl von Übelkeit überkommt ihn, er steht auf.
     
    Es war einmal eine Zeit, da liebte er Proust. Liebte es, in die langsame Berührung von Prousts französischer Mutterverherrlichung einzutauchen, seine strömende Endlosigkeit, eine Zeit, da er so sicher wie Petra Vinters Fußspur wusste, was gute Literatur war und was nicht, eine Zeit, da er es laut sagte. Nun denkt er es nicht einmal mehr.
    Er muss ein Unternehmen leiten. Verkauf ist Verkauf. Das eine ist besser als das andere.
    Was sich am meisten verkauft, ist am besten.
    So ist das Leben, so ist die Welt. Wir müssen uns alle arrangieren. Anpassen. Sagte Darwin. Sagt der Aktienmarkt.
    Praktisch sein.
    Idioten?
     
    Auch Proust schrieb in seinen Büchern über alle, die er kannte.
     
    Bloßgestellte?

XXXII
    G anz unten rechts im Regal, in der Abteilung mit den Erinnerungen, steht ein Roman, Die Malerin . Es ist eine fiktive Nachdichtung des Lebens des berühmten Fräuleins Elsa. Geschrieben von ihrem langjährigen Freund I. O. Aus Rache, sagen bösen Zungen, weil sie ihn nie zu ihrem Geliebten gemacht hat. Jeder einzelne ihrer Liebhaber, ihrer vielen Liebhaber, wird mit entsprechend vielen identifizierbaren Details bloßgestellt, so dass jeder, der sie kannte, auch jeden von ihnen wiedererkennen musste.
    Er hat das Buch in dem Jahr veröffentlicht, in dem er seinen Posten übernahm.
    Es verkaufte sich in überwältigend großen Stückzahlen. Und zerstörte viele Familien.
    Die Beteiligten hatten getan, was sie getan hatten.
    Es war ein gutes Buch.
    I. O.s brillantestes.
     
    Ein Ehemann fuhr sich und
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