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Komm

Titel: Komm
Autoren: Janne Teller
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wird. Das Persönliche universell machen.
     
    Thomas Manns Buddenbrooks widerlegt, was er eben geschrieben hat. Das ist Literatur, von der man sich nicht lossagen kann. Trotzdem findet er, er habe recht. Wären die Buddenbrooks schlechter, wenn die Familie nicht erkennbar wäre? Wenn die Handlung nicht in Lübeck, sondern in Hamburg spielte?
     
    Wer ist er, sich zum Richter über Thomas Mann aufzuschwingen!
     
    Man kann nicht mit einer These anfangen, dann mit einer Gegenthese weitermachen, dann hinter diese ein Fragezeichen setzen und so weiter. Man muss die These, die man nun einmal aufgestellt hat, untermauern.
     
    Wieso eigentlich?
     
    Idiot.
     
    Wenn er nun aber mit Thomas Mann befreundet gewesen wäre, bevor der ein Schriftsteller wurde?
    Wäre er hinterher auch noch mit ihm befreundet gewesen?
    Was wäre, wenn Mann ihm versprochen hätte, nie über ihn oder über eine Geschichte, die er von ihm gehört hatte, zu schreiben, und es dann doch getan hätte?
    Was tut man dann?
     
    Wenn etwas Kunst ist, rechtfertigt das alles? Und wenn es keine Kunst ist?
    Damals auf dem Christianshavns Torv, da hatte er es eilig. Er hat es immer eilig. Hat wichtige Sachen zu erledigen. Der Zweck heiligt die Mittel. Auch um der Kunst willen muss das Mitgefühl geopfert werden. Oder?
     
    Muss man beim Gericht der Öffentlichkeit Zuflucht suchen, weil es kein anderes gibt?
     
    Und was, wenn wir das Jahr 2007 schrieben und die Medien alles bedeuteten und die Skrupellosigkeit des Autors wie geschaffen wäre für die Scheinwerfer, während man selber wie Schnee ist, der sich im Licht auflöst?
    Verhält man sich dann wie Petra Vinter, meldet den Autor für immer ab, vergräbt sich mit dem Rest? Macht seine Erfahrungen und geht weiter? Trifft für sich seine Wahl, überlässt den anderen, ihre Wahl für sich zu treffen?
    Entscheidet sich, die Geschichte die Geschichte erzählen zu lassen?
     
    Was würde er selbst tun?
     
    Was wird er tun?

XXXV
    E r geht zum Fenster.
    Es schneit weiterhin, nicht sehr dicht, aber still und ohne Ende. Zuerst schaut er nicht hin, aber schon bevor er auf die Straße blickt, weiß er, dass er sie nicht mehr sehen wird. Jedenfalls nicht von hier. Er geht zum anderen Fenster, es nutzt nichts. Von innerhalb des Hauses ist nichts mehr zu erkennen.
    Es ist, als wäre sie nie dort gegangen.
    Nie hiergewesen.
     
    Das wellige Manuskript liegt auf seinem Tisch. Ein Rotweinfleck unter dem Titel. Es ist fünf Uhr dreiundvierzig.
    Aber hat sie etwas anderes gesagt als:
    »Bitte.«
    Mit einer leichten Handbewegung in Richtung Manuskript, dann in Richtung des Fensters und des Schneegestöbers:
    »Tut mir leid, dass es nass geworden ist.«
    Und dann die Bemerkung in der Türöffnung, der Fuß war schon über der Türschwelle, der Kopf bloß gedreht, schwarzblaue Ringe:
    »Du hast die Wahl.«
    Hat sie mehr gesagt als das?
    Sagte sie das?
    Oder sah sie ihn nur an?
    In ihn hinein?
    War der Rotweinfleck auf der Vorderseite nicht immer da gewesen?
     
    Er schließt die Augen. Er hat das Gefühl, als schnurrten die Flocken in seinem Kopf herum, und er macht die Augen wieder auf, atmet tief ein, geht aus dem Büro und den Gang hinunter bis zur Haustür.
    Erst kann er sie nicht sehen, aber dann sind sie da, Dunkelung auf Dunkelung im Schnee, schräg und quer über die Straße nach links und weg. Er fühlt sich seltsam erleichtert. Weiß nicht, warum.
    Warum?
     
    Er geht in sein Büro zurück. Schaut wieder auf die Uhr, fünf dreiundfünfzig. Er ist ein guter Leser, er schafft das schon. Er holt sich eine Tasse mit frischem Kaffee, nimmt sich das Manuskript und setzt sich aufs Sofa. Zieht die Schuhe aus und fängt an zu lesen.
     
    Von vorne.

XXXVI
    I diot.
    Wie kann es da nur einen Zweifel geben? Es ist richtig gut gebaut. Eine spannende Geschichte von unangenehmen Leuten, die unangenehm handeln, und dann mit einer größeren Perspektive verknüpft, die dem Ganzen die nötige Schwere gibt.
    Und wenn es nun Petra Vinters Geschichte ist?
     
    Sie ist es nicht.
    Das ist ja das Seltsame.
    »Es ist meine Geschichte«, hat sie gesagt.
    Aber sie ist es nicht. Der Roman handelt nicht von Petra Vinter, so viel kann er sehen. Er handelt nicht von Petra Vinter, nicht einmal dann, wenn er eventuell von etwas handelt, das sie erlebt hat.
    Die Heldin ist eine ganz andere.
    Sie hat nichts mit Petra Vinter gemein.
    Der Überfall wird nicht beschrieben.
    Nicht so, wie er ablief. Nicht so, wie sie ihn erzählte.
     
    Es ist meine
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