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Koma

Koma

Titel: Koma
Autoren: Robin Cook
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sie zu ihrem Spiegelbild und reckte sich auf die Zehenspitzen. »Warum unbedingt eine Scheiß-Ärztin?« Theatralisch ließ sie sich vornübersinken, Sinnbild der Demut, und sah sich immer noch zu. »Das wäre wirklich besser gewesen.« Susan war stolz auf ihren weichen und schmiegsamen, dennoch stark und kräftig gebauten Körper. Ja, sie hätte Tänzerin werden können, besaß sie doch Balance und Sinn für Grazie und Rhythmus. Sie beneidete ihre Schulfreundin Carla Curtis, die Ballett studiert hatte und jetzt irgendwo über die New Yorker Bühnenwelt schwebte. Dabei wußte Susan genau, daß die Tanzerei sie nicht befriedigt hätte. Sie brauchte einen Beruf mit Berufung, ein Leben, das ihren Denkapparat ständig anregte. Susan streckte dem Mädchen im Spiegel die Zunge heraus, und das Mädchen tat dasselbe. Dann ging sie ins Bad.
    Es dauerte vier Minuten, bis das Wasser warm war. Derweil besah Susan ihr Gesicht im Spiegel über dem Waschtisch. Mit einer etwas hübscheren Nase, dachte sie, hätte vielleicht eine Schönheit aus ihr werden können. So aber begann sie auch diesen schicksalsschweren Tag, indem sie eine Dufttablette ins Badewasser warf. Man mußte das Leben von der praktischen Seite betrachten.

 
Montag
23. Februar
7 Uhr 30
     
    Das Boston Memorial Hospital ist wahrhaftig keine architektonische Augenweide, trotz der überproportionalen Anzahl von Architekten, die in dieser Gegend ansässig sind. Der Zentralbau kann als gelungen und interessant gelten. Er wurde vor mehr als einem Jahrhundert aus großen Sandsteinblöcken mit Gefühl für Proportionen und handwerklicher Gediegenheit errichtet. Doch das Gebäude ist viel zu klein und nur zwei Stockwerke hoch. Außerdem wurde es nach dem inzwischen überholten Prinzip der Krankenpflege erbaut, das riesige Bettensäle vorsah. Infolgedessen hat das ehrwürdige Gebäude heutzutage kaum noch praktischen Nutzen, und nur die Ehrfurcht vor dem Hauch medizinischer Geschichte, der durch seine Hallen weht, bewahrt es vor dem Abbruch.
    Die zahlreichen größeren Gebäude des Memorialkomplexes sind Musterbeispiele amerikanischer Gotik: in unmöglichen Winkeln verschränkte und verschachtelte Mauern aus Millionen und aber Millionen rotbrauner Ziegelsteine, hohe, immer schmutzige Fenster und flache Dächer in eintönigem Nebeneinander. Diese Häuser wurden angefügt, wie es gerade kam, entsprechend dem jeweiligen Bedarf an Betten und den gerade zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln. Alles in allem und mit Ausnahme einiger kleinerer Forschungsbauten bietet sich dem Blick ein häßliches Steingewirr dar.
    Aber kaum jemand stößt sich an dem äußeren Anblick der Bauten: Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile, und die nüchterne Wahrnehmung wird überlagert von der Bedeutung des Namens und der Tradition, für die er steht. Die Gebäude sind keine Gebäude an und für sich, sondern bilden und beherbergen das weltbekannte Boston Memorial Hospital, den Tempel der Geheimnisse und der Magie moderner medizinischer Künste. Den Laien, der sich ihm nähert, beherrschen Angst und Aufregung, und für den Fachmann ist es schlicht das Mekka seiner Zunft.
    Zur rein ästhetischen Schönheit trägt die unmittelbare Umgebung wenig bei. Auf der einen Seite führt ein Labyrinth von Schienensträngen zum Nordbahnhof, und moderne Stahlhochstraßen überziehen wie rostige Bestandteile einer abstrakten Skulptur die Gegend. Am anderen Ende grenzt das Memorial an ein modernes Siedlungsprojekt für Familien mit geringem Einkommen. Doch wie so oft ging das Ziel auch hier in der Korrumpiertheit der öffentlichen Kommunalverwaltung verloren. Äußerlich wirken die Häuser zwar wie neumodische Slums für Unterprivilegierte, die Miete aber können sich nur wohlhabende Kinder des großstädtischen Glücks leisten. Vor dem Hospital liegt eine tote Ecke des Bostoner Hafens, Wasser wie schwarzer Kaffee, von schmutzigem Schaum überzogen. Den Platz zwischen Hafen und Krankenhausfront nimmt ein großes asphaltiertes Spielgelände ein, auf dem der Wind Zeitungen vor sich hertreibt.
    An diesem Morgen um 7 Uhr 30 barst der Operationstrakt fast vor Aktivität, aber das gehörte zur täglichen Routine. Fünf Minuten später waren in einundzwanzig Sälen einundzwanzig Skalpelle in Aktion getreten. Die planmäßig angesetzten Operationen waren im vollen Gang, und das Schicksal einer ansehnlichen Zahl von Menschen hing davon ab, was in den folgenden Viertelstunden getan oder unterlassen, gefunden
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