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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe
Autoren: Elke Heidenreich
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ich lagen auf dem Wohnzimmer-teppich und redeten über die Liebe. Irma träumte von einem ganz besonderen Mann, mir war jeder recht, der mich von zu Hause weggeholt hatte, und wenn Irmas Mutter vom Einkaufen zurückkam, fragten wir sie über die Männer aus. Sie lachte und sagte. «Liebe macht schon!» oder «Männer sind eine wunderbare Angelegenheit», aber das brachte uns auch nicht weiter. Dann zog sie das geblümte Kleid aus und einen violetten Morgenrock aus Satin an, steckte sich eine neue Zigarette in die bernsteinfarbene Spitze und spielte mit uns Karten. Pepi lag auf ihrem Schoß und schnurrte, und ich fragte: «Können Sie mich nicht adoptieren?»
    Aber abends mußte ich wieder nach Hause, zu Wirsing durcheinander mit Mettwurst Meine Mutter kochte immer für den Tag vor, und ich hatte nur dafür zu sorgen, daß die Sachen rechtzeitig im Klo verschwanden, ehe sie von der Arbeit kam.
    Dabei mußte man aufpassen, daß die Mettwurst- oder Speckstückchen nicht oben schwammen, aber ich hatte schon Routine, und es sah immer so aus, als hatte ich alles aufgegessen. Meine Mutter sah zufrieden in die leeren Topfe und sagte: «Na bitte, es geht doch!», und ich dachte- «Wenn du wußtest. Es geht eben nicht » Und dann ging ich früh ins Bett, um zu lesen, aber auch, damit wir nicht wieder Streit bekamen. Ich las alle Bucher, in denen etwas mit Liebe vorkam, besonders aufmerksam, aber es war kein System zu erkennen, wie Liebe denn nun funktionierte Irmas Mutter lachte über uns und fand, wir konnten uns ruhig noch ein bißchen Zeit lassen, das käme alles früh genug, «und hoffentlich», sagte sie einmal, «verliebt ihr euch nicht mal in denselben, sonst gibt es Mord und Totschlag!» So ähnlich ‹am es dann ja auch, aber ohne Mord und Totschlag, und trotzdem blieb ich allein zurück.
    Bei Irma zu Hause gab es keinen Vater. Er war aber nicht eines Tages einfach verschwunden, es hatte nie einen gegeben, und aus Irmas Mutter war nichts herauszukriegen. «Aus und vorbei», war ihr einziger Kommentar, wenn Irma danach fragte. «Du hast mich, mein Schatz, das muß dir genügen.» - «Waren Sie denn in ihn verliebt?» fragte ich, und sie verdrehte die Augen, nahm einen Schluck Kaffee und sagte: «Das will ich meinen.» - «Wenn es wirklich die Liebe ist», fragte ich, «woran merkt man das denn dann?» - «An allem», sagte sie und sah lange aus dem Fenster.
    Eines Nachmittags im April 1955 ging Irmas Mutter mit uns ins Kino. Es war ein Mittwoch, es war sechzehn Uhr, das Kino hieß Lichtburg und der Film «Jenseits von Eden». In dem Film kämpften zwei Brüder um die Liebe ihres Vaters und um die Liebe eines Mädchens namens Abra. Der eine der beiden Brüder hieß Cal, und wir hielten zwei Stunden lang die Luft an. Hier war sie, endlich, hier war die Liebe: Cal hatte ein Gesicht, weich und hochmütig, verletzlich, reizbar, mürrisch, sensibel, er konnte weinen und war doch ein Mann, der schönste Mann, den wir je gesehen hatten, und auch der erste neben all den Jungen, die wir küßten und kannten. Als wir aus dem Kino kamen, waren wir keine kleinen Mädchen mehr, und Irmas Mutter wischte sich die Augen, atmete tief und sagte: «Das war James Dean.»
    An diesem Abend ging ich nicht nach Hause. Ich saß mit Irma in der dunklen Küche, während ihre Mutter längst schlief, und wir redeten über Cal, wir wollten einen Bruder einen Liebsten, einen Freund, einen Vater wie ihn. Wir weinten und liefen hin und her, wir entwarfen einen Brief an ihn, wir verfluchten Aron und den Vater, der nichts, nichts verstand, wir waren erschüttert, überwältigt, verliebt, getröstet: das, wonach wir immer gesucht hatten, gab es, gleich gültig, ob auf einer Kinoleinwand oder irgendwo in Amerika - es gab diesen James Dean, und er stand vielleicht gerade an eine Wand gelehnt, hatte die Augen geschlossen und fühlte und dachte dasselbe wie wir.
    Ab sofort interessierten uns die Jungen aus der Schule, aus der Eisdiele, aus der Tanzstunde nicht mehr, die wie eckige Kälber um uns herumstanden, und als mein derzeitiger Freund Christian mir einen selbstgehämmerten flachen Kupferring mit seinen Initialen schenkte, trug ich ihn zwar, ritzte aber innen mit einer Nagelschere J. D. ein und erzählte das nur Irma. Irma wurde immer stiller. Sie verzehrte sich nach James Dean, aber ich hatte eher das Gefühl, nach James Dean als Vater, während ich ihn mir vorstellte als Liebhaber a la Rhett Butler, der mich schwindelnde Treppen hochtrug, und unten
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