Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe
Autoren: Elke Heidenreich
Vom Netzwerk:
nie ohne zwei Flaschen Wein dazu zu trinken. Die Briefe waren zwischen ihrer Wäsche versteckt und mit Schreibmaschine geschrieben, deshalb konnte ich sie leicht lesen. «Mein Hase», schrieb er, «mein einziger Hase, du, mit deinem weichen Fell, an das ich denke und in das ich meine Nase stecken möchte.» Die Lehrerin hatte struppiges braunes Haar, das nicht nach Hasenfell aussah, aber wahrscheinlich verdrehte die Liebe die Tatsachen.
    Leider wurde meine Mutter wieder gesund und schlug zu wie eh und je. Sie und die Lehrerin saßen stundenlang abends in der Küche und redeten über die Männer, und der Geliebte brachte an den Wochenenden scheußliche Geschenke mit - langstielige Nelken mit Zittergras, ein Pfund Bohnenkaffee, ein Wettermanns Monatsheft von Borkum oder eine große Flasche Uralt Lavendel, die die Lehrerin meiner Mutter schenkte, weil sie dagegen allergisch war. Meine Mutter, die extrem geizig war, hatte eine Schublade, in der solche Geschenke verschwanden und bei Gelegenheit weiterverschenkt wurden. Weihnachten sagte dann Tante Gerta angesichts der Flasche Uralt Lavendel: «Mein Gott, Hilde, das war doch nicht nötig gewesen», und meine Mutter sagte: «Laß nur, Gerta, es ist ja schließlich Weihnachten.»
    Tante Gerta lebte allein und hatte nie einen Mann gehabt. In meiner ganzen Familie gab es nicht eine einzige richtige Ehe: der Mann von Tante Rosi war im Krieg gefallen, Onkel Otto war Witwer, Tante Maria saß im Rollstuhl, und Onkel Hermann mußte sie waschen und füttern. Meine Kusine Ludmilla hatte ein uneheliches Kind von einem Rechtsanwalt und lebte bei Tante Rosi, und Onkel Heinz und Tante Tussi redeten seit Kriegsende nicht mehr miteinander. Sie schrieben sich manchmal unumgänglich wichtige Mitteilungen wie «Neuer Krankenschein fällig» oder «Heizung ist kaputt» auf kleine Zettel, aber sie hatten beschlossen, aus welchem Grund auch immer, nie mehr miteinander zu reden und halten das, glaube ich, noch heute durch. Aber vielleicht sind sie auch inzwischen tot, ich weiß es nicht, ich habe zu dieser Familie keinen Kontakt mehr.
    Die Liebe war also da nicht zu finden für ein inzwischen fast fünfzehnjähriges Mädchen - aber dann kam James Dean.
    Nein, vor James Dean kam Irma, und Irma war meine erste richtige Freundin.
    Irma war aus Tübingen in unsere Stadt gekommen und in meiner Klasse gelandet, bei diesen dummen reichen Mädchen und den häßlichen alten Lehrerinnen, die uns mit Linealen auf die Arme schlugen und von ihren Verlobten träumten, die allesamt im Krieg gefallen waren. Irma setzte sich neben mich, und wir verstanden uns vom ersten Tag an. Wir konnten über alles miteinander reden, über das Leben und die Liebe, über Gedichte und Katzen, über die Schule und das Alterwerden und warum man einen Busen haben mußte und über die Traume, die wir für unser Leben hatten. Nur über meine Probleme mit meiner Mutter konnte ich mit Irma nicht reden, denn immer wenn ich damit anfing, riß sie die Augen auf und sagte- «Aber es ist doch deine MUTTER!» Ich konnte ihr einfach nicht klarmachen, daß das nichts bedeutete und daß ich es mit einem Feind zu tun hatte. Irmas Mutter war ganz anders. Sie war jung und immer gutgelaunt, lag bis mittags im Bett, trank Kaffee, rauchte und las Illustrierte. Oft ging ich nach der Schule mit Irma nach Hause - bei uns war ja sowieso nie jemand -, und dann rief sie: «Was, verdammt, ist das schon wieder so spät?» Sie gab Irma einen Kuß und mich ließ sie an ihrer bernsteinfarbenen Zigarettenspitze ziehen. Dann stieg sie seufzend aus dem Bett, reckte sich, gähnte laut und verschwand im Bad, von wo wir sie laut singen horten: «Solang noch nicht die Hose am Kronleuchter hangt, sind wir noch nicht richtig in Schuß, solang noch nicht die Hose am Kronleuchter hangt, da schmeckt uns kein Sekt und kein Kuß!» Irma und ich brieten uns in der Küche Spiegeleier, und auf dem Tisch saß die dicke Katze Pepi und leckte die Teller blank.
    Meine Mutter haßte Tiere, und bei uns zu Hause wurde nicht geküßt, nicht geraucht und nicht gesungen. Irgendwann kam dann Irmas Mutter aus dem Bad und rief: «Na?» und stemmte die Hände in die Hüften. Sie sah toll aus: sie trug ein geblümtes Kleid, hatte die Haare hochgesteckt und hochhackige Schuhe angezogen, sie war geschminkt und roch nach Puder und Parfüm.
    So wollte ich auch werden, wenn ich nur endlich erwachsen wäre.
    Irmas Mutter setzte einen Hut auf, nahm eine Tasche und ging zum Einkaufen, und Irma und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher