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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri
Autoren: Jürgen Benvenuti
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den Anfang der Bar und schaute sich um. Die gepolsterten Bänke, die dem Tresen gegenüberlagen, waren alle besetzt, die meisten Tische, die sich im hinteren Teil des Raumes befanden, ebenso. Er mochte das
Schikaneder
nicht. Er mochte die plüschigen Sofas nicht, vor denen es ihm ein wenig grauste, er mochte die Plakate,die vom angrenzenden Kino desselben Namens stammten und für Filme mit obskurem Inhalt warben, nicht, und die Leute, die sich in dieser schäbig dekadenten Atmosphäre wohlfühlten, mochte er auch nicht. Karl wäre lieber ins
Rhiz
am Gürtel gegangen, sein altes Stammlokal, als er noch im Sechzehnten Bezirk gewohnt hatte, aber Daniel hatte sich hier mit ihm treffen wollen, und da war er also.
    Er nieste, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und wischte sich den Schweiß an die Jeans. Dann zog er seinen nassen Regenmantel aus und schüttelte ihn ein wenig. Es hatte zu regnen begonnen, kaum, dass er das Haus verlassen hatte, und er hatte mit dem Gedanken gespielt, die U-Bahn zu nehmen, sich dann aber gesagt, wenn du die Sintfluten in Costa Rica ausgehalten hast, hältst du diesen Regen auch aus.
    Mit dem Mantel über der Schulter drängte er sich zwischen den Leuten hindurch nach hinten. Er blieb stehen und betrachtete den Film, der auf die Rückwand des Lokals projiziert wurde, schnelle Schnitte, hektische Kamerabewegungen, Untertitel.
    â€žHier drüben!“, rief eine Stimme.
    Karl drehte den Kopf und sah Daniel Kollaritz, der sich in eines der orangefarbenen Plüschsofas gegossen hatte und träge mit der linken Hand winkte. Er trug eine helle Leinenhose, ein weißes T-Shirt und weiße Leinenturnschuhe. Neben ihm lag die übliche schwarze Lederjacke. An seinem Gürtel befand sich ein altertümliches Handy von der Größe eines Ziegelsteines. Er war Mitte dreißig, hatte leichtes Übergewicht und einen zurückweichenden Haaransatz.
    â€žDu bist zu spät“, sagte er, während Karl sich aufs Sofa fallen ließ, den Mantel über die Lehne legte und geräuschvoll ausatmete.
    â€žSchon bestellt?“, fragte Karl und streckte die Beine von sich.
    Kollaritz nickte. „Das Übliche.“
    Karl lehnte sich zurück, betrachtete ein paar Sekunden den Film und sagte: „Worum geht’s?“
    Kollaritz zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ein Kamerateamverfolgt irgendwelche Leute mit einer Waffe, dazwischen kommt so eine Art Showmaster und brüllt herum, dann wird geschossen und …“
    Karl winkte ab. „So genau wollte ich es gar nicht wissen.“
    Die Kellnerin kam und stellte ein Achtel Weißwein und eine Frucade auf den Tisch. Karl schnappte sich die Flasche, trank einen Schluck, rülpste und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Kollaritz nippte an seinem Weinglas und sagte nichts. Karl trank noch einen Schluck von seiner Frucade, dann verschränkte er die Hände hinter dem Kopf und wippte im Takt zum Soul, der sich seidenweich aus den Boxen schlängelte.
    Kollaritz gähnte ausgiebig.
    â€žLanger Tag?“, fragte Karl.
    â€žLangweiliger Tag.“
    â€žWie viele Patienten?“
    Kollaritz hielt drei Finger in die Höhe.
    â€žUnd wie viele davon haben gefragt, ob dein Vater zurückkommt?“
    Kollaritz seufzte und betrachtete seine Fingernägel. „Alle“, sagte er mit leiser Stimme.
    Karl wollte etwas sagen, besann sich dann aber eines Besseren. Es hatte keinen Sinn, über ihre Väter zu diskutieren. Zu oft schon hatten sie das getan und nie waren sie auf einen grünen Zweig gekommen. Kollaritz’ Vater konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass sein Sohn kein Kind mehr war und niemanden brauchte, der ihm bei allem, was er tat, über die Schulter blickte und Kommentare dazu abgab. Karls Vater war das genaue Gegenteil. Karls Vater war nie da, ganz einfach. Er reiste herum, er demonstrierte gegen das Unrecht in der Welt, er hielt Vorträge, er kümmerte sich nie um seinen Sohn. Karl zwang sich, an etwas anderes zu denken. Orchideenblüten explodierten in seinem Kopf. Und mittendrin Rocín mit seinem grinsenden Pferdegesicht.
    Sie schwiegen ein paar Sekunden. Schließlich fragte Kollaritz: „Wie geht’s Maria?“
    â€žGut“, sagte Karl. „Sie säuft wie ein Loch, wächst und gedeiht.Allerdings könnte ihr ein wenig frische Kuhscheiße nicht schaden. Hast du mir welche
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