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Köpfe

Köpfe

Titel: Köpfe
Autoren: Greg Bear
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hatte ich das Gefühl, auseinandergerissen und wieder zusammengesetzt zu werden. Instinktiv hörte ich auf, mich zu bewegen, und wartete, bis alles wieder zusammen war.
    Ich konnte mich lediglich auf eine meiner Hände konzentrieren, die nach dem Brückengeländer griff. Von der Hand gingen dunkle Bänder aus, die sich zum Deck der Brücke hinschlängelten. Ich blinzelte und merkte, wie sich meine Augenlider bei jedem Heben und Senken auflösten und wieder zusammensetzten. Eine Angst, die tiefer saß als jedes Denken, zwang mich, jegliche Bewegung einzustellen, bis nur noch mein Blut und mein Herzschlag drohten, mich von innen zu zerreißen.
    Schließlich konnte ich es nicht länger aushalten. Ich drehte mich langsam in der sich vertiefenden Stille um und hörte nichts als das Schleifen meiner Schuhe auf der Brücke und das schlangenhafte Zischen meines Körpers, der sich auflöste und wieder zusammensetzte, während ich mich drehte.
    Bitte erwarten Sie nicht, daß meine Aussage von nun an noch eine Spur von objektiver Wahrheit enthält. Was immer geschehen sein mochte, es beeinträchtigte meine Sinne, wenn nicht gar meinen Verstand, und zwar auf eine Weise, die mir jede Objektivität nahm.
    Die Kugel der Höhlung war wie ein Ei gesprungen. Ich sah Rho zwischen der Höhlung und dem Labor stehen, vollkommen reglos, leicht zu meiner linken Seite hingewandt, wie in einer halben Drehung verharrend, und sie wirkte irgendwie nicht real. Das Licht, das von ihr abgestrahlt wurde, hatte nichts Vertrautes, meine Augen konnten nichts Richtiges damit anfangen; ob es daran lag, daß sich das Licht verändert hatte oder daß sich meine Augen verändert hatten, weiß ich nicht. Außerdem ging von ihr etwas aus – Strahlung ist nicht das richtige Wort, es ist irreführend, aber vielleicht gibt es kein besseres –, eine Art Mitteilung über ihre Anwesenheit, die ich noch nie zuvor erlebt hatte, eine Häutung, die sie vor meinen Augen immer weniger werden ließ. Ich denke, es war vielleicht die Information, die ihren Körper zusammenhielt und die jetzt durch eine neue Art von Raum absickerte, der bisher nicht existiert hatte: ein kristallin gewordener Raum, ein Supraleiter der Information. Durch die Abgabe dieser Substanz wurde Rho weniger körperlich, weniger real. Sie löste sich auf wie ein Stück Zucker in warmem Wasser.
    Ich versuchte, ihren Namen zu rufen, brachte jedoch keinen Laut heraus. Genausogut hätte ich in einer heimtückischen Gelatine gefangen sein können, die mich ätzte, sobald ich versuchte, mich zu bewegen. Doch ich hatte nicht den Eindruck, daß ich mich auflöste, so wie ich es bei Rho beobachtete. Zumindest dieser Gefahr gegenüber schien ich immun zu sein.
    William stand hinter ihr und wurde immer deutlicher, je mehr Rho sich auflöste. Er war weiter weg von der Höhlung; die Wirkung, worin immer sie bestehen mochte, war auf ihn offenbar nicht so stark. Doch auch er begann, Substanz abzugeben, die geheime Komposition, die den Platz jedes einzelnen Teilchens bestimmte und in Einklang brachte mit dem Quantenzustand der anderen Partikel, die uns von einem Augenblick zum anderen in Form und Verfassung hält. Ich glaube, er versuchte, sich zu bewegen, um wieder zurück ins Labor zu kommen, doch das einzige, was er damit erreichte, war, daß die Substanz schneller verflog, und er hielt inne, versuchte statt dessen, die Hand nach Rho auszustrecken, mit einem aufs äußerste angespannten Gesichtsausdruck, wie ein Kind, das durch Blickkontakt einen Tiger in die Knie zwingen will.
    Seine Hand fuhr durch sie hindurch.
    In diesem Moment sah ich noch etwas anderes, das aus meiner Schwester entwich. Ich möchte mich im voraus entschuldigen dafür, daß ich diese Dinge beschreibe; ich möchte nicht mehr oder weniger Hoffnung verbreiten, mystischen Deutungen unserer Existenz das Wort reden, denn, wie gesagt, was ich gesehen habe, mag auf Halluzination beruhen und keine objektive Realität darstellen.
    Doch ich sah zwei, dann drei Versionen meiner Schwester auf der Brücke stehen, die dritte wie eine Wolke, die ihre grobe Form beibehielt, und dieser Wolkenform gelang es, sich auf mich zu zubewegen und mich mit einer ausgestreckten Gliedmaße zu berühren.
    Alles in Ordnung mit dir, Micko? hörte ich im Kopf oder vielleicht sogar in den Ohren. Bewege dich nicht! Bitte, bewege dich nicht! Du scheinst…
    Plötzlich sah ich mich selbst aus ihrer Sicht, ihr Erleben sickerte aus ihr heraus und ging auf mich über, wie ein
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