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Koenig Nicolo Oder So Ist Das Leben

Titel: Koenig Nicolo Oder So Ist Das Leben
Autoren: Frank Wedekind
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stellten sie unter Gottes heilige Obhut. Alles, was ihr und der Ihrigen Leib und Leben, was ihre Habe und das Gedeihen ihres Tagewerkes betrifft, das stellten sie in kindlichem Vertrauen in die Weisheit ihrer Vorfahren in ihres Königs Obhut. In ihrem Könige erkennt die – niedrige Menschheit das Abbild des eigenen Glückes, und wer dieses Abbild befleckt, der raubt ihr den Mut zur Arbeit und die Ruhe der Nacht. Dieser Untat bin ich in weit höherem Maße schuldig, als es menschliche Gerechtigkeit ermißt. Unmöglich kann die Strafe, die man über mich verhängt, der Schwere meines Verbrechens gleichkommen. Mag sie sich gegen mein Leben richten, mag sie ausfallen, wie immer sie will, ich werde sie als eine Gnade des Himmels aus eurer Hand, ihr Richter, entgegennehmen.
    DER OBERRICHTER. Die Gnade deines Herrn, unseres teuren und geliebten Königs,
Die Anwesenden erheben sich.
hat dir einen rechtskundigen Verteidiger zur Seite gegeben. – Der würdige Herr Corrado Ezzelino, Lehrer und Doktor beider Rechte, hat das Wort.
    DER VERTEIDIGER
erhebt sich, er spricht dem
Gerichtshof gegenüber de- und wehmütig, mit größter Unterwürfigkeit.
Meine hochwohlweisen, hochgerechten, würdigen, hochgeehrten Richter! Erlaubt mir vorerst ein Wort über unseren wackeren und verdienten Mitbürger, den Schneidermeister Cesare Pandolfo, zu reden.
Während der folgenden beginnt Pandolfo heftig zu schluchzen und wird von seinen Gesellen durch Gebärden getröstet.
Tiefgebeugt unter der Wirkung des unter seinem Dache begangenen verabscheuenswürdigen Verbrechens sehen wir ihn heute auf der Zeugenbank sitzen. Wir alle kennen die Tüchtigkeit seiner Gesinnung; wir alle, wie wir hier versammelt sind, kennen
Auf seinen Talar deutend.
die Gediegenheit seiner Arbeit. Keinem unter uns wird es je einfallen, dessen glaube ich Meister Pandolfo in unser aller Namen versichern zu dürfen, ihn auch nur im entferntesten mit dem unter seinem Dache begangenen, verabscheuenswürdigen Verbrechen in Beziehung zu bringen! –
Von jetzt an mit verächtlicher Gleichgültigkeit.
Was nunmehr den Angeklagten betrifft, den zu verteidigen ich die traurige Pflicht habe, so ist er augenscheinlich ein ganz verkommenes Subjekt, viel würdiger unserer tiefsten Verachtung als eines nach den erhabenen Normen des hohen römischen Rechtes klüglich gefällten Urteils. Lasset, o Richter, an diesem Auswurf unserer teuren menschlichen Gemeinschaft das Wort der Schrift sich bewahrheiten, in der es heißt: Du sollst deine Perlen nicht vor die Säue werfen! Da der Angeklagte in seiner beispiellosen, geistigen und sittlichen Verkommenheit die Ehre, die ihm durch ein auf der heiligen Waage der Gerechtigkeit abgewogenes Urteil zuteil würde, unmöglich ihrem volle Werte entsprechend zu schätzen wüßte, so ersuche ich euch, hochwohlweise und geehrte Richter, um der Hoheit unseres Berufes nicht zu nahezutreten, es bei einer
In zärtlichem Ton.
Prügelstrafe bewenden zu lassen. Sollte euch, hochwohlweise und geehrte Richter, eine Prügelstrafe nicht ausreichend erscheinen, so könnte die Prügel strafe vielleicht durch eine dreitägige Ausstellung am Schandpfahl auf dem Markte von Perugia ergänzt werden.
    DER OBERRICHTER. Ich erteile das Wort dem Prokurator des Königs, unserm würdigen Herrn Silvio Andreotti, Doktor beider Rechte.
    DER PROKURATOR DES KÖNIGS
der sich während der ganzen Verhandlung stöhnend und gähnend in seinem Sessel gewälzt hat, erhebt sich und schimpft und zetert rein geschäftsmäßig, aber doch mit allen Gebärden sittlicher Empörung drauflos, indem er dabei dem Gerichtshof seine tiefste Verachtung fühlen läßt.
Geehrte Richter! Der Angeklagte ist, wie die treffliche Verteidigungsrede des würdigen Herrn Corrado Ezzelino richtig festgestellt hat, ein verkommenes Subjekt, ein Auswurf unserer teuren menschlichen Gemeinschaft, ein Individuum von beispielloser, sittlicher Verkommenheit, dem ich indessen eine gewisse geistige Verschmitztheit, um mich deutlicher auszudrücken, eine gewisse Bauernschlauheit nicht absprechen möchte. Auf diese Bauernschlauheit deuten seine eigenen Worte hin, die er hier gesprochen, sowie die Tatsache, daß er in der Absicht, unsere Urteilskraft von vornherein durch einen günstigen Eindruck zu bestechen, seine Tat gar nicht zu leugnen versucht hat. Wenn nun aber ein auf der tiefsten Stufe menschlicher Verkommenheit stehendes Individuum ein so himmelschreiendes Verbrechen begeht, dann ist dieses Individuum überhaupt nicht
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