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König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: König der Seelen (Höllenfeuer) (German Edition)
Autoren: Peter Conrad
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Kopf. "Im Augenblick dürfte Raphael in seinen Augen sehr viel interessanter sein, als ich es bin. Vermutlich fragt er sich immer noch, warum Raphael sich mittlerweile zwar an seinen Vornamen erinnern, aber ansonsten absolut nichts über sich und sein bisheriges Leben erzählen kann.“
    Sie bog um eine Ecke und betrat das westliche Treppenhaus, auf dessen Grund sie den Geist Elizabeths wusste. Wie üblich umfing sie an diesem Ort die eisige Kälte und das deutliche Gefühl der Angst, welche die Seelen verdammter Menschen ausstrahlte. Eleanor war mit diesen Empfindungen mittlerweile so weit vertraut, dass sie mit ihnen umgehen konnte und nicht in Panik verfiel. Und dennoch war sie in solchen Augenblicken innerlich hin und hergerissen zwischen ihrem Mitleid mit Elizabeth und dem Drang vor Angst einfach davonzulaufen.
    Sie stieg in den zweiten Stock hinauf und bog in die Abteilung, in der sie ihr neues Zimmer wusste. Die Gänge in diesem Teil von Stratton Hall waren weit weniger unfreundlich als in der geschlossenen Abteilung. Die hohen Stuckdecken waren kunstvoll verziert und die Wände mit dunklem Holz vertäfelt, an dessen Rändern filigrane Schnitzarbeiten Szenen der Tier- und Pflanzenwelt Cornwalls zeigten. Hier würde Eleanor sich wohlfühlen – in der Zeit, die sie noch an diesem Ort verbringen würde. Eleanor erschauerte bei dem Gedanken, eines Tages von diesem Ort fortgehen zu müssen, in die Welt da draußen, die sie hier hineingetrieben hatte. Diesmal aber würde sie Raphael an ihrer Seite haben, was würde ihr da widerfahren können?
    Eleanor betrat ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Raphael würde in etwa einer Stunde von Dr. Marcus kommen, bis dahin war noch genug Zeit für andere Dinge. Zum Beispiel für den Brief, den sie ihrer Mutter zu schreiben dachte. Ihre wöchentlichen Briefe hatten in den vergangenen Wochen eine erste Brücke zu ihrer Familie geschlagen, eine allererste Verbindung, die Eleanor viel Kraft und Mut gekostet hatte nach ihrem vergeblichen Versuch, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
    Eine Wolke schien sich vor die Sonne zu schieben und das Zimmer verdunkelte sich schlagartig.
    „Hallo, Eleanor“, erklang in diesem Moment eine sanfte Stimme. Eleanor zuckte zusammen und ihr Körper versteifte sich. Diese Stimme war so angenehm, freundlich und wohlklingend, dass sie sofort wusste, wem sie gehörte.
    „Asasel“, flüsterte sie, während sie furchtsam die Augen schloss.
    „Ja, Asasel“, kicherte die Stimme hinter ihr. Eleanor öffnete die Augen und sah den unheimlichen Engel urplötzlich direkt vor sich stehen. In dem kleinen Zimmer wirkte er riesig, wenngleich er durch sein verkrümmtes Rückgrat so schief stand, dass die meisten anderen Engel ihn sicher überragten. Aus seinem deformierten Gesicht starrten zwei harte Augen auf Eleanor hinab. Sie hätte in diesem Augenblick jedoch kaum zu sagen vermocht, ob Bösartigkeit in ihnen lag oder eher ein Ausdruck von Faszination und Verunsicherung. Eleanor schlug den Blick befangen nieder.
    „Sag mir, wie du das gemacht hast“, erklang Asasels Stimme. Sie klang brüchig und alt, hatte nichts mehr mit jenem warmen und einnehmenden Klang zu tun, der sonst in so scharfem Kontrast zu seinem Äußerem stand. In diesem einen Moment passten seine Stimme und sein Körper zusammen, so sehr, dass Eleanor zu frieren begann und ihr eigener Körper sich vor Furcht zusammenkrampfte.
    „Sag mir, wie du das gemacht hast“, sagte Asasel erneut.
    „Was… was meinst du?“, stammelte Eleanor angsterfüllt.
    „Wie hast du Samael befreit?“, stieß Asasel ungeduldig hervor. „Wie hast du ihn wieder in Gottes Obhut zurückgebracht? Mit welchem Trick hast du ihm Gottes Gunst wiedergegeben?“
    Eleanor wich irritiert zurück. „Hast du denn überhaupt nicht verstanden, was Gabriel auf dem Sinai zu euch gesagt hat?“
    „Ich habe sehr wohl verstanden!“, grollte Asasel. „Wir haben Jahrtausende lang gedacht, dass Gott das Verderben der Menschen von uns verlangen würde. In Wirklichkeit hat er nur vorhergesagt, wie wir uns euch Menschen gegenüber verhalten würden, wenn wir mit euch auf diesem jämmerlichen Planeten eingesperrt wären.“
    Eleanor runzelte die Stirn. „Wie kannst du diesen Planeten jämmerlich nennen? Wenn dieses Universum wirklich von Gott erschaffen wurde, wie kann…“
    „Dieses Universum ist leer!“, fauchte Asasel. „Es ist vollkommen leer und bedeutungslos, denn Gott ist nicht hier!“
    Eleanor zögerte. Sie wartete
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