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Knochenraub am Orinoko

Knochenraub am Orinoko

Titel: Knochenraub am Orinoko
Autoren: Cornelie Kister
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blauenKapitänsaugen geradezu durchbohrten. »Ich   … ich. Also   … ich   …«
    »Los, antworte, oder soll ich die Worte aus dir herausprügeln lassen?« Die umstehenden Matrosen johlten.
    »Ich bin von zu Hause weggelaufen«, stammelte Pedro leise. »Ich wollte zur See   … weit weg von La Coruña.« Er wagte kaum hochzublicken.
    »Und du glaubst, dass wir dir hier ein neues Zuhause bieten, oder was?«, brüllte der Kapitän. »Weißt du, was ich auf meinem Schiff mit blinden Passagieren zu tun pflege?«
    »Kapitän Sanchez«, fuhr Emilio dazwischen, »soll ich ihn an den Mast binden oder über Bord werfen?«
    »Schweig!«, schnauzte ihn der Kapitän an. »Die blinden Passagiere sind die Ersten, die ich schlachte und in Scheiben schneiden lasse, wenn die Fleischvorräte zu Ende gehen. Na, wie gefällt dir das?« Der Kapitän brach in ein schallendes Gelächter aus. Pedro blickte sich hilflos um, doch er konnte kein einziges mitfühlendes Gesicht entdecken. Er war umgeben von lauter übel aussehenden Kerlen, die ihn mit ihren schiefen, fauligen Zähnen, zwischen denen fingerbreite Lücken klafften, angrinsten.
    »Was ist denn hier los?«, hörte Pedro jemanden über die Köpfe der Matrosen hinweg rufen.
    Der Kapitän blickte in die Richtung, in der zwischen den strubbeligen Matrosenköpfen immer wieder ein Gesicht auftauchte, und raunte finster: »Der Herr Baron von Humboldt! Der hat mir gerade noch gefehlt.«
    »Gibt es Probleme mit dem Jungen?«, fragte der Mann aufgebracht, nachdem er sich zwischen den Matrosen hindurchgeschoben hatte. Im Gegensatz zu den zerzausten Seemännern bot er mit seinen frisch rasierten Wangen und den gekämmten Locken einen gepflegten, vertrauenswürdigen Anblick.
    »Das geht Sie einen feuchten Kehricht an, Herr Baron. Gehen Sie wieder zu Ihren Messgeräten und kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten.«
    »Was hast du denn ausgefressen, mein Junge?«, fragte der feine Herr, ohne den Kapitän weiter zu beachten.
    Pedro schaute zu ihm auf. Er hatte das Gefühl, dass er vor diesem Baron von Humboldt keine Angst zu haben brauchte. Dennoch zitterte seine Stimme etwas, als er, umzingelt von den Matrosen, antwortete: »Ich   … ich hab mich in La Coruña an Bordgeschmuggelt und jetzt hat mich dieser Matrose da erwischt.«
    »Hmm.« Pedro spürte, wie der Baron ihn musterte. »Du musst ganz schön hungrig sein und Durst hast du bestimmt auch.« Und an Kapitän Sanchez gerichtet sagte Humboldt: »Also bitte, Kapitän Sanchez. Anstatt hier große Reden zu schwingen, sollten Sie dem Jungen besser etwas zu essen und zu trinken geben. Er ist ja noch ein Kind und dazu ganz ausgehungert. Ihre großartigen Schifffahrtsgesetze können Sie sich sparen.«
    »Was wissen Sie schon davon! Einen Teufel werde ich tun und meine knapp bemessenen Lebensmittelvorräte an einen blinden Passagier verfüttern«, knurrte der Kapitän und blitzte Humboldt aus wütenden Augen an.
    Doch dieser beachtete den Kapitän nicht länger und legte vertraulich den Arm um Pedros Schultern. »Ich heiße Alexander von Humboldt und bin mit meinem französischen Gefährten auf einer Forschungsreise in die südamerikanischen Kolonien. Komm ruhig erst mal mit mir, ich stelle dich ihm vor. Er heißt Aimé Bonpland.« An die Matrosen gewandt fügte er hinzu: »Könntet ihr uns bitte durchlassen?«
    »Was erlauben Sie sich?«, empörte sich Kapitän Sanchez und stellte sich Humboldt in den Weg.
    Jetzt ist es aus, dachte Pedro, doch dann hörte er zu seiner Überraschung, wie der Baron von Humboldt sagte: »Seien Sie unbesorgt. Für die Kosten der Schiffspassage komme ich auf, ebenso für die Verpflegung des Jungen. Wenn Sie also die Güte hätten, zur Seite zu treten.«
    Der Kapitän schnappte nach Luft, öffnete den Mund, schloss ihn jedoch im nächsten Moment wieder. Auch die Matrosen traten stumm einen Schritt zur Seite, sodass sich Humboldt mit Pedro an der Hand einen Weg durch die Menge bahnen konnte.
    »Wie heißt du eigentlich?«, fragte ihn der Baron.
    »Pedro.«
    »Und woher kommst du?«
    »Aus La Coruña, der spanischen Hafenstadt, von der aus die Pizarro losgesegelt ist«, antwortete Pedro.
    »Schau mal, dort vorne sitzt mein Gefährte. Er ist ein begeisterter Botaniker und beschäftigt sich von früh bis spät mit Pflanzen. Er kann es gar nicht erwarten, all die unbekannten tropischen Gewächse in Südamerika zu sammeln.«
    Ganz vorne, im Bug des dreimastigen Segelschiffes, saß ein dunkelhaariger Mann an einem
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