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Knochenraub am Orinoko

Knochenraub am Orinoko

Titel: Knochenraub am Orinoko
Autoren: Cornelie Kister
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ihre Kleidung ist so komisch.«
    »So etwas nennst du Kleidung!« Bonpland lachte, während er das Fernrohr auf eines der näher kommenden Kanus gerichtet hielt. »Für meinen Geschmack sind diese Naturmenschen allesamt nackt, bis auf diesen merkwürdigen Gürtel um die Hüfte.«
    »Immerhin, das Wichtigste ist bedeckt«, bemerkte Humboldt mit einem Räuspern.
    »Sehen Sie doch nur, was die alles in ihren Booten haben!« Aufgeregt wies Pedro auf die ersten Kanus, die in der Zwischenzeit an der Pizarro beigedreht hatten. Riesige Bananenstauden, saftige Ananas und andere tropische Früchte, die Pedro sein Lebtag noch nicht gesehen hatte, wurden an Bord gereicht, wo ausgehungerte Matrosen sie gierig in Empfang nahmen. Tagelang hatten sie sich von nichts anderem als von Schiffszwieback, Wassersuppe und salzigem Pökelfleisch ernährt.
    Als Humboldt, Bonpland und Pedro endlich an Land gingen, wurden sie direkt von einer Schar lärmender Indianerkinder umringt. In dieser Stadt, die immerhin die erste von Spaniern gegründete Siedlung auf dem südamerikanischen Kontinent war, kam es nicht alle Tage vor, dass ein großes Schiff aus Europa anlegte. Die Ankunft der Pizarro hatte sich offensichtlich schnell herumgesprochen. Schon sah man unter den Schaulustigen einen Mann im schwarzen Gehrock und mit Zylinder zum Strand heruntereilen. Ihm folgten einige gut gekleidete Herren und Damen, die sich mit bunten Schirmen gegen die pralle Sonne schützten.

    »Darf ich mich vorstellen?«, fragte der Herr mit dem Zylinder schnaufend. Mit seinem dicken Bauch schob er sich durch die lärmende Kinderschar. »Mein Name ist Don Vicente de Emparán, Statthalter der Provinz. Dürfte ich um Ihre Pässe bitten?« Er hielt erwartungsvoll die Hand auf und streckte sie abwechselnd Humboldt und Bonpland entgegen, die beide etwas verständnislos in die Runde blickten.
    »Hier, am Strand? Unter freiem Himmel?«, ereiferte sich Humboldt. »Das sollten wir doch besser in der Amtsstube im Ort regeln, so viel Zeit muss sein.«
    Der Statthalter nickte zustimmend, zückte den Zylinder und machte auf dem Absatz kehrt. »Ich erwarte Sie auf der Plaza Mayor, dem Hauptplatz von Cumaná. Die Statthalterei können Sie gar nicht verfehlen. Es ist das größte Gebäude am Platz«, rief er bereits im Weggehen. »Wenn Sie wollen, besorge ich Ihnen eine passable Unterkunft. Vielleicht haben Sie ja vor, etwas länger zu bleiben!«
    »Na, das ist ja mal ein merkwürdiger Empfang!«, bemerkte Bonpland, nahm den Hut vom Kopf und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
    »Wollen wir hier denn länger bleiben?«, erkundigte sich Pedro neugierig. Er warf einen sehnsüchtigen Blick über das smaragdblaue Meer und den weißen Strand, an dessen Ende sich stattliche Palmen bogen, als könnten sie ihre schweren Köpfe nicht mehr aufrecht halten.
    Humboldt zuckte die Schultern. »Ein paar Tage vielleicht, aber unser eigentliches Reiseziel ist der Orinoko.«
    »Der Orinoko.« Leise flüsterte Pedro den Namen des Flusses noch einmal vor sich hin. Wo würde der Fluss sie nur hinführen?

Gefahr aus dem Hinterhalt

    Während die vielen, vielen Kisten von Humboldt und Bonpland ausgeladen und auf Eselskarren verfrachtet wurden, senkte sich die Sonne über die Bucht herab und tauchte das Meer in ein leuchtendes Gold. Pedro hatte große Lust, sich sofort in die Brandung zu stürzen.
    »Kann ich zum Strand hinunter?«, fragte er die beiden Männer.
    »Warum nicht?«, entgegnete Humboldt. »Zum Ausladen der Kisten werden wir ohnehin nicht gebraucht. Was meinen Sie, Aimé? Nach so langer Zeit auf See, wäre da ein Spaziergang am Strand nicht ein schöner Beginn für unsere Expedition in der Neuen Welt?«
    Pedro wartete gar nicht mehr auf Bonplands Zustimmung, sondern rannte voraus. Noch im Laufen streifte er sich sein schmutziges Hemd vom Leib, das er seit drei Wochen ununterbrochen getragen hatte. Es strotzte vor Dreck und Schweiß, und dass es einmal weiß gewesen war, konnte man nur nocherahnen. Dann sprang er kopfüber in die Wellen. Pedro prustete, das Wasser war angenehm kühl und glasklar. Er konnte bis auf den Boden sehen, wo seine Zehen sich in den weißen Sand gruben. Da, ein Fisch! Pedro tauchte ihm hinterher, aber natürlich war der Fisch schneller und bereits mit einigen raschen Flossenschlägen aus Pedros Sichtfeld entschwunden. Mit kräftigen Zügen schwamm Pedro wieder nach oben und durchbrach nach Luft japsend die Wasseroberfläche. Er schüttelte den
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