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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte
Autoren: PeP eBooks
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das schleuderte mein Gehirn zu übel herum. »Mm-hmm.«
    »Ruh dich’ne Minute aus«, sagte Owens. »Und dann ab unter die Dusche.«
    »Mm-hmm.«
    Ich sah zu Hardcore rüber, der gerade seinen Helm abnahm. Ich riss die Augen auf und blinzelte. Er war eine Sie.
    »Wie viele Finger?«, fragte sie mit einem schmalen Lächeln.
    Ich starrte auf die Hand, die sie mir vors Gesicht hielt. Aber sie hatte doch noch ihren Handschuh an. Wie viele Finger?
    Hä?
    »War nur’n Witz«, sagte sie.
    »Mm-hmm.«
    Sie lachte mich kurz aus, dann griff sie nach meinem Arm. »Na los, Killer, mach dich vom Acker.«
     
    So hab ich also Ash kennengelernt. Hiebe auf den ersten Blick.
    Auch jetzt spielt sie mit mir, während wir uns auf dem Weg zum See ein Rennen über den Schotterweg liefern. Immer wieder lässt sie mich so nah rankommen, dass ich Hoffnung
schöpfe, nur um dann gleich wieder unerreichbar abzuzischen.
    Der zunehmende Mond versteckt sich hinter den Wolken. In der Stadt ist es ganz anders, da wird der Himmel nie völlig schwarz, immer nur tiefgrau. Hier kann ich kaum die Straße erkennen. Nur der bleiche Schnee verhindert, dass ich über die Böschung in den noch dunkleren Schatten des Straßengrabens falle. Diese Gräben sind voller verwuchertem Grünzeug und Abfall, der im Schlamm festgefroren ist.
    Von Ash sehe ich nur das verwaschene Weiß ihrer Laufschuhe weit vor mir.
    »Mach schon, Danny!« Sie ist noch nicht mal außer Atem. »Fang mich, dann lass ich dich vielleicht mal grapschen.«
    Ich lache keuchend, greife tief in mich rein und hole gerade genug Kraft raus, um einen einzigen Sprint hinzulegen, der mich diesen fliegenden weißen Turnschuhen näher bringt. Ich strecke einen Arm aus und berühre ihre Jacke mit den Fingerspitzen.
    Dann stirbt mir der Motor ab. Torkelnd komme ich zum Stehen.
    Keuch. Pfeif. Keuch. Pfeif.
    Ihre Schuhe rennen davon, fressen die Straße in sich hinein. Vornübergebeugt schaue ich zu, wie sie immer kleiner werden.
    Mann, hat die Lungen! Und Beine. Sie sagt, sie könnte hundert Kilo stemmen. Klingt nach ziemlich viel. Ich kann nicht mal mich selber hochstemmen.
    Wenigstens friere ich jetzt nicht mehr. Wenn ich hier schon sterbe, dann jedenfalls nicht an Unterkühlung.

    Ashs Schuhe schrumpfen zu weißen Klecksen, im nächsten Moment werden sie in der Dunkelheit verschwunden sein. Aber plötzlich bleiben sie stehen. Ich sauge keuchend die eisige Luft ein und die Kleckse werden wieder größer. Ich höre, wie der schneeverkrustete Schotter unter ihnen knirscht, als Ash zurückgejoggt kommt.
    »Gibst du schon auf?« Sie ringt nicht mal ansatzweise nach Luft.
    »Ja, du hast gewonnen. Und, wie lauten deine Be dingungen?«
    »Bedingungslose Aufgabe. Dein Arsch gehört mir.«
    »Aber geh liebevoll damit um«, pfeife ich.
    »Mann, was bist du für ein Jammerlappen. Keine Sorge, ich lass dich am Leben.«
    Den Rest des Weges gehen wir einfach nebeneinander her. Je näher wir dem See kommen, desto mehr Häuser tauchen an den Feldwegen auf, die von der Straße abzweigen. Diese Feldwege haben keinen Namen, nur Nummern. Wir sind gerade an Nummer 10 vorbei. In Richtung See zählen sie dann rückwärts bis 1. Die Häuschen, an denen wir vorbeikommen, sind kleine Flackerlichter im winterlichen Zwielicht, wie Eisglühwürmchen. Wir lehnen uns in den Wind und beschleunigen den Schritt.
    »Meinst du, von Fat Bills Haus ist noch was übrig?«, frage ich.
    »Höchstens Schutt und Asche. Die werden das Eis auf dem Bach aufhacken müssen, um genug Wasser zu kriegen, damit das Feuer nicht auf die anderen Häuser übergreift.«
    »Pike gehört eingesperrt.« Ich blase mir die Hände warm.
»Ist nur eine Frage der Zeit, bis er Amokläufer in seinen Lebenslauf schreiben kann.«
    Ich sehe, wie sie in der Dunkelheit mit den Schultern zuckt. »Pike muss jeden Tag, jede Sekunde damit klarkommen, dass er Pike ist. Das ist schon Strafe genug. Außerdem - hast du seinen Dad schon mal gesehen? War früher mal Ausbilder. Und zwar von der strengsten Sorte. Wenn du mit so einem Typen aufgewachsen wärst, hättest du jetzt auch Rührei statt einem Gehirn im Kopf.«
    Durch ein Wolkenloch erhasche ich einen Blick auf einen Sternenhaufen. In Toronto hab ich früher höchstens mal die zehn hellsten Sterne sehen können. Hier ist das ganz anders - je länger man hinschaut, desto mehr Sterne sieht man.
    Bei Feldweg 5 biegt Ash zu ihrem Haus ab.
    Im Mondlicht kann ich ihr Gesicht gerade so erkennen. Ash ist halb Indianerin, halb Weiße.
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