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Knochenjagd (German Edition)

Knochenjagd (German Edition)

Titel: Knochenjagd (German Edition)
Autoren: Kathy Reichs
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Beamten stand Tirone.
    Tirone war Anfang dreißig, ein fett gewordener, muskulöser Kerl mit strohblonden Haaren, eisengrauen Augen und einer offensichtlich sehr empfindlichen Nase. Auf seiner Oberlippe glänzte Wick VapoRub.
    LaManche stand neben dem Erkerfenster und unterhielt sich mit Gilles Pomier, einem Autopsietechniker des LSJML . Beide machten ein finsteres Gesicht und sprachen gedämpft.
    Ich brauchte die Unterhaltung gar nicht zu hören. Als forensische Anthropologin hatte ich schon mehr Todesschauplätze bearbeitet, als mir lieb war. Mein Spezialgebiet sind die Verwesten, die Verbrannten, die Mumifizierten, die Verstümmelten und skelettierte menschliche Überreste.
    Ich wusste, wer alles mit Höchstgeschwindigkeit zu uns unterwegs war. Service de l’identité judiciaire, Division des scènes de crime, Quebecs Version von CSI . Bald würde die Wohnung wimmeln vor Spezialisten, die nichts anderes im Sinn hatten, als jeden Fingerabdruck, jede Hautzelle, jeden Blutspritzer und jede Wimper in dieser schmuddeligen, kleinen Wohnung zu finden und einzusammeln.
    Mein Blick wanderte wieder zu dem Toilettentisch. Wieder zog sich mein Magen zusammen.
    Ich wusste, was diesem Baby bevorstand. Der Angriff auf seine Person hatte eben erst begonnen. Die Kleine würde zu einer Fallnummer werden, man würde an ihr materielle Indizien sichern und bewerten. Ihr zarter Körper würde gewogen und vermessen werden. Man würde ihr Brust und Schädel öffnen, ihr Hirn und Organe entnehmen, sie in Scheiben schneiden und unter dem Mikroskop untersuchen. Man würde ihr Knochenproben für eine DNS -Untersuchung entnehmen. Man würde ihr Blut und Glaskörperflüssigkeit für eine toxikologische Untersuchung abzapfen.
    Die Toten sind machtlos, aber diejenigen, die möglicherweise durch die Untaten anderer sterben, erleiden noch weitere Würdelosigkeiten. Ihr Tod wird zur Schau gestellt als Beweismittel, das von Labor zu Labor, von Schreibtisch zu Schreibtisch wandert. Spurensicherungstechniker, forensische Experten, Polizisten, Anwälte, Richter, Juroren. Ich weiß, dass solche Verletzungen der persönlichen Würde notwendig sind für die Rechtsprechung. Dennoch hasse ich sie. Auch wenn ich ein Teil davon bin.
    Diesem Opfer würde man wenigstens die Grausamkeiten ersparen, die die Strafverfolgungsmaschinerie für erwachsene Opfer vorsieht – die öffentliche Zurschaustellung ihres Lebens. Wie viel trank sie? Was trug sie? Wen hasste sie? Hier würde das nicht passieren. Dieses kleine Mädchen hatte noch kein Leben gehabt, das man unters Mikroskop legen konnte. Für sie würde es nie einen ersten Zahn, nie einen Schulabschlussball, nie einen fragwürdigen BH geben.
    Mit wütendem Finger blätterte ich in meinem Notizbuch eine neue Seite auf.
    Ruhe sanft, meine Kleine. Ich werde dich behüten.
    Ich notierte mir eben etwas, als eine unerwartete Stimme an mein Ohr drang. Ich drehte mich um. Durch die schiefe Schlafzimmertür sah ich eine vertraute Gestalt.
    Schlank und langbeinig. Kräftige Kinnpartie. Sandblonde Haare. Sie wissen schon, was ich meine.
    Für mich ist das ein Bild mit einer langen Geschichte.
    Lieutenant-détective Andrew Ryan, Section des crimes contre la personne, Sûreté du Québec.
    Ryan ist Beamter des Morddezernats. Im Verlauf der Jahre habe ich viel Zeit mit ihm verbracht. Inner-und außerhalb des Labors.
    Das Außerhalb war vorbei. Was aber nicht hieß, dass der Kerl nicht immer noch verdammt heiß war.
    Ryan hatte sich zu LaManche und Pomier gestellt.
    Ich klemmte meinen Kuli in die Spiralbindung, klappte das Buch zu und ging ins Wohnzimmer.
    Pomier begrüßte mich. LaManche hob seinen Hundeblick, sagte aber nichts.
    »Dr. Brennan.« Ryan war rein geschäftsmäßig. So hatten wir das auch in unseren guten Zeiten immer gehalten. Vor allem in den guten Zeiten.
    »Detective.« Ich zog meine Handschuhe aus.
    »Also, Temperance.« La Manche ist der einzige Mensch auf Erden, der die formelle Version meines Namens benutzt. In seinem steifen, korrekten Französisch klingt es so, dass es sich mit »La France« reimt. »Wie lange ist dieser kleine Mensch schon tot?«
    LaManche ist seit über vierzig Jahren forensischer Pathologe und hat keinen Grund, mich nach meiner Meinung zum postmortalen Intervall zu fragen. Es ist eine Taktik, die er benutzt, um Kollegen das Gefühl zu geben, sie seien ihm ebenbürtig. Nur wenige sind es allerdings tatsächlich.
    »Die ersten Fliegen kamen wahrscheinlich zwischen einer und drei
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