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Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Titel: Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)
Autoren: Sendhil Mullainathan
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bemerkenswert schwachen Spielresultaten. Das war eine anschauliche Lektion dafür, wie tiefgreifend die Einschnitte in die Bandbreite sein können. Selbst nachdem wir alle Untersuchungen durchgeführt und die Daten analysiert hatten, war der Abfall überraschend groß. Wir hatten das vage Gefühl, »kognitiv müde« zu sein, aber ein Abfall von 30 bis 40 Prozent war doch mehr, als wir erwartet hatten. Und dabei war das Spiel simpel und machte Spaß! Wir hatten den Eindruck, dass unsere Köpfe nicht mit voller Kapazität arbeiteten, hatten dabei aber nicht bemerkt, wie sehr unsere Bandbreite eingeschränkt war.
    Versuchen Sie mal, sich an vergleichbare Augenblicke in Ihrem Leben zu erinnern. Welche Ihrer Aktivitäten könnten eine starkeBeschneidung der Bandbreite verursachen? Und wo hätten diese Einschnitte spürbare Folgen? Fahren Sie dann schlecht Auto? Sie wissen, dass Sie nicht Auto fahren sollten, wenn Sie müde sind, aber ist es Ihnen auch schon passiert, schlecht zu fahren, nachdem Sie den ganzen Tag schwer herumgegrübelt hatten? Kommen Ihre Witze dann nicht mehr gut an? Sind Sie weniger freundlich? Treffen Sie falsche Entscheidungen? Haben Sie jemals gesagt: »Ich möchte diese wichtige Entscheidung nicht jetzt treffen, denn meine Bandbreite ist reduziert«?
    Die meisten Leute übersehen die Bandbreite. Wenn sie beschäftigt sind und entscheiden müssen, was sie als Nächstes machen, stellen sie in Rechnung, wie viel Zeit sie haben und wie lange die neue Aufgabe braucht − aber sie überlegen sich kaum, wie es um ihre Bandbreite bestellt ist. Sie sagen vielleicht: »Ich habe nur eine halbe Stunde, ich werde diese kleine Aufgabe erledigen.« Sie werden aber kaum sagen: »Meine Bandbreite ist zu klein, ich werde deshalb diese andere, leichter zu erledigende Aufgabe angehen.« Natürlich machen sie das manchmal stillschweigend, beispielsweise, wenn sie zu einer anderen Aufgabe wechseln, nachdem sie mit der einen nicht vorangekommen sind. Das ist aber nichts anderes, als dass sie den Preis für eine schon knapper gewordene Ressource zahlen.
    Wir verplanen und managen unsere Zeit, aber nicht unsere Bandbreite. Es ist erstaunlich, wie wenig wir die Schwankungen unserer kognitiven Kapazitäten bemerken und berücksichtigen − insbesondere, wenn wir es mit unseren körperlichen Kapazitäten vergleichen, bei denen wir auf die potenziellen Effekte von Essen, Schlaf und Training gut abgestimmt sind. Wie die meisten Arbeiter in der modernen Gesellschaft benützen wir unseren Kopf, um unser Leben zu gestalten, dabei wissen wir erstaunlich wenig über den Tagesrhythmus unseres Gehirns. Besteht unser Job darin, Kisten von einem Platz zu einem anderen zu schleppen, haben wir ein besseres Gespür, wie wir unsere Effizienz verbessern können, wann wir uns mehr anstrengen müssen und wann wir ausruhen sollten. Besteht der Job aber darin, statt Kisten Ideen von einem Platz zum anderen zu verschieben, wissen wir wenig darüber, wie wir unsere begrenzten kognitiven Kapazitäten maximieren könnten.
    Wie wir als Einzelne wenig von den Schwankungen unserer Bandbreite wissen, wissen auch die Soziologen wenig über die Schwankungen der Bandbreite der Gesellschaft. Wissenschaftler tendieren dazu, das zu messen, was ihnen ihre Theorien zu messen aufgeben. Deshalb messen Soziologen die materiellen Merkmale der Knappheit: wie viele Menschen arbeitslos sind, was im letzten Quartal produziert wurde, wie die Einnahmen waren usw.
    Wir wissen aber fast nichts über die kognitive Seite der Ökonomie. Ähnlich wie unsere eigene Bandbreite fluktuiert wahrscheinlich auch die Bandbreite der Gesellschaft. Könnte es sein, dass die ökonomische Rezession von 2008 auch eine tiefgreifende kognitive Rezession zur Folge hatte? Vielleicht verengte sich die Bandbreite signifikant? Was wäre, wenn während der Zunahme der Arbeitslosigkeit die Qualität der Entscheidungen abnahm? Wir haben keine Daten, um auf diese Fragen zu antworten. Während es aber für Daten von 2008 zu spät ist, ist es noch nicht zu spät, solche Daten für zukünftige Boom- und Krisenzeiten zu erheben. In den letzten Jahren wurden Anstrengungen unternommen, das soziale Wohlbefinden zu messen und ein Maß für das »Bruttonationalglück« (oder auch »Bruttosozialglück«) parallel zum Bruttonationaleinkommen zu definieren. Warum nicht auch die »Bruttonationalbandbreite« messen?
    Daraus könnten wir nicht nur etwas über unser Land als Ganzes lernen, sondern auch, wie es
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