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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei
Autoren: J.R. Moehringer
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Garderobe hinter ihm stand und zusah, wie die Maskenbildnerin ihm die Nase puderte, fiel ihm auf, wie locker Sutton wirkte, als hätte er das schon sein ganzes Leben lang gemacht. Später stand Schreiber in den Kulissen und verfolgte das Interview. Sutton war witzig, redegewandt, bemerkenswert ungezwungen. Mehr als einmal dachte Schreiber: Er ist wie ein Banker gekleidet, aber mit Leib und Seele Schauspieler.
    Nach der Sendung stiegen er und Sutton zusammen mit Zsa Zsa Gabor, die ebenfalls Gast gewesen war, in den Aufzug. Gabor trug eine Halskette mit kastaniengroßen Diamanten. Immer wieder legte sie die Hände nervös auf die Kette und sah Sutton kurz an. Unten in der Lobby hielt Sutton die Tür für sie auf. Ein wahrer Gentleman. Aber als sie an ihm vorbeiging, sagte er: Süße, nehmen Sie ruhig Ihre Hände von den Juwelen. Ich bin im Ruhestand.
    Je berühmter Sutton wurde, desto dreister wurde er auch. Schreiber erinnert sich, als er Suttons Gesicht zum ersten Mal während eines Yankees-Spiels auf dem Fernsehbildschirm auftauchen sah. Ausgerechnet in einem Werbespot für die New Britain Bank and Trust Company of New Britain, Connecticut. Natürlich war es lustig, aber auch seltsam ernüchternd, Sutton für eine Kreditkarte werben zu sehen, mit dem aufgeprägten Foto des Karteninhabers. Eine neue Waffe gegen Identitätsdiebstahl.
    Schnitt, Sutton lächelt in die Kamera.
    Wenn ich heute sage, ich heiße Willie Sutton, dann glauben mir die Leute aufs Wort.
    Auftritt Sprecher, der die Leute drängt, ihr Geld auf die Bank zu bringen.
    Sagen Sie den Leuten, Willie Sutton hat Sie geschickt.
    Der Werbespot machte Schreiber fast wütend. Nicht, dass Sutton wieder Banken ausrauben sollte. Aber er fand es schrecklich, dass Sutton sie anpries.
    Sutton behauptete, wegen des Werbespots kein schlechtes Gewissen zu haben. Willie hat Ausgaben, Kleiner – du weißt doch, was heute eine Packung Chesterfield kostet. Selbst als 1979 der Immobilienmarkt zusammenbrach, die Börse kollabierte und die Zentralbank vor Bankpleiten warnte, gestand er sich nicht die geringsten Gewissensbisse zu. Abertausende wurden durch ungezügelte Habgier in den Ruin getrieben. Ein weiteres Mal.
Da lag das Geld
 – dieser nie verbürgte Suttonismus wird von Journalisten, Wirtschaftswissenschaftlern, Professoren und Politikern heute tagtäglich nicht etwa zur Erklärung der Motive eines Bankräubers während der Weltwirtschaftskrise herangezogen, sondern zur Erklärung der allgemeinen menschlichen Gier. Menschen tun Dinge, alle möglichen Dinge, weil da das Geld liegt.
    Die Finanzkrise ist der einzige Grund, warum Schreibers Chef ihn jetzt, Ende Dezember 1980 , nach Florida reisen ließ, sieben Wochen nach Suttons Tod durch ein Emphysem. Schreibers Redaktionsleiter ist etliche Jahre jünger als Schreiber und weiß nicht viel von Willie Sutton. Aber die Wirtschaft interessiert alle, und ihm gefiel Schreibers Ansatz. Ein alter Bankräuber, der Weihnachten mal mit unserer Zeitung verbracht hat?
    Schön kitschig, sagt der Ressortleiter. Schreib mir ein Stück mit zweitausend Wörtern.
     
    Schreiber isst in einem Steakhaus in Spring Hill zu Abend, der Kleinstadt, in der Sutton seine letzten Tage verbracht hatte, ein angenehmes Nest an der Küste Floridas. Die Bedienung ist blond, braungebrannt und trägt eine Schlaghose, die an der Hüfte knalleng sitzt. Schreiber ist nicht mehr mit der Frau von damals zusammen, als er Sutton kennenlernte. Auch nicht mit der danach und der danach. Als die Bedienung ihm den Lachs bringt, fragt Schreiber, ob Willie Sutton oft hierherkam.
    Willie? Klar. Er war Stammkunde. Lieber alter Kerl. Hat immer das Porterhouse bestellt. Mit einem Glas Milch – immer.
    Schreiber will gerade fragen, ob Sutton ein großzügiger Trinkgeldgeber war und ob jemals Trinkgelder verschwunden sind, aber die Bedienung wird vorher weggerufen.
    Er ruft Suttons Schwester an, in der Hoffnung, an Kopien von Suttons Briefen oder Tagebüchern zu kommen. Oder an eine Kopie des Romans, dessen Titel
Die Statue im Park
war. Der Held war ein Banker, dessen Leben eine Lüge ist. Schreiber hatte ihn oft um eine Kopie gebeten, aber Sutton war immer unschlüssig. Jetzt ruft seine Schwester nicht zurück. Und Suttons Tochter kann er nicht ausfindig machen. Un-Fassbarkeit – das liegt offenbar in der Familie.
    Nach zwei Tagen in Florida, zwei Tagen mit Besuchen in den hiesigen Bibliotheken und Banken und der Bar, steht Schreibers Abreise bevor. Aber er ist noch
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