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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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unter ihnen mitten durch
    das Herz der Erde flog mit hundert blen-
    denden Lichtfenstern ein Eisenbahnzug in
    den Berg und in die Nacht hinein, oben
    vom Himmel her läuteten Glocken einer
    unsichtbaren Kirche. Lauernd stieg der
    halbe Mond über den Tisch, blickte spie-
    gelnd in den dunkeln Wein, riß Mund und
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    Auge einer Frau aus der Finsternis, lä-
    chelte, stieg weiter, sang den Sternen zu.
    Der Geist Louis᾽ des Grausamen hockte
    auf einer Bank, einsam, schrieb Briefe.
    Klingsor, König der Nacht, hohe Krone
    im Haar, rückgelehnt auf steinernem Sitz,
    dirigierte den Tanz der Welt, gab den Takt
    an, rief den Mond hervor, ließ die Eisen-
    bahn verschwinden. Fort war sie, wie ein
    Sternbild übern Rand des Himmels fällt.
    Wo war die Königin der Gebirge? Klang
    nicht ein Flügel im Wald, bellte nicht fern
    der kleine mißtrauische Löwe? Hatte sie
    nicht eben noch ein blaues Kopftuch getra-
    gen? Hallo, alte Welt, trage Sorge, daß du
    nicht zusammenfällst! Hierher, Wald!
    Dorthin, schwarzes Gebirge! Im Takt blei-
    ben! Sterne, wie seid ihr blau und rot, wie
    im Volkslied: »Deine roten Augen und
    dein blauer Mund!«
    Malen war schön, Malen war ein schönes,
    ein liebes Spiel für brave Kinder. Anders
    war es, größer und wuchtiger, die Sterne
    zu dirigieren, Takt des eigenen Blutes, Far-
    benkreise der eigenen Netzhaut in die Welt
    hinein fortzusetzen, Schwebungen der ei-
    genen Seele ausschwingen zu lassen im
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    Wind der Nacht. Weg mit dir, schwarzer
    Berg! Sei Wolke, fliege nach Persien, regne
    über Uganda! Her mit dir, Geist Shake-
    speares, sing uns dein besoffenes Narren-
    lied vom Regen, der regnet jeglichen Tag!
    Klingsor küßte eine kleine Frauenhand, er
    lehnte sich an eine wohlig atmende Frauen-
    brust. Ein Fuß unterm Tisch spielte mit
    seinem. Er wußte nicht, wessen Hand oder
    wessen Fuß, er spürte Zärtlichkeit um sich,
    fühlte alten Zauber neu und dankbar: er
    war noch jung, es war noch weit vom
    Ende, noch ging Strahlung und Ver-
    lockung von ihm aus, noch liebten sie ihn,
    die guten ängstlichen Weibchen, noch
    zählten sie auf ihn.
    Er blühte höher auf. Mit leiser, singender
    Stimme begann er zu erzählen, ein unge-
    heures Epos, die Geschichte einer Liebe,
    oder eigentlich einer Reise nach der Süd-
    see, wo er in Begleitung von Gauguin und
    Robinson die Papageieninsel entdeckt und
    den Freistaat der glückseligen Inseln be-
    gründet hatte. Wie hatten die tausend Pa-
    pageien im Abendlicht gefunkelt, wie hat-
    ten ihre blauen Schwänze sich in der grü-
    nen Bucht gespiegelt! Ihr Geschrei und das
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    hundertstimmige Geschrei der großen Af-
    fen hat ihn wie ein Donner begrüßt, ihn,
    Klingsor, als er seinen Freistaat ausrief.
    Dem weißen Kakadu hatte er die Bildung
    eines Kabinetts aufgetragen, und mit dem
    mürrischen Nashornvogel hatte er Palm-
    wein aus schweren Kokosbechern getrun-
    ken. Oh, Mond von damals, Mond der
    seligen Nächte, Mond über der Pfahlhütte
    im Schilf! Sie hieß Kül Kalüa, die braune
    scheue Prinzessin, schlank und langglied-
    rig schritt sie im Pisanggehölz, honigglän-
    zend unterm saftigen Dach der Riesenblät-
    ter, Rehauge im sanften Gesicht, Katzen-
    glut im starken biegsamen Rücken, Kat-
    zensprung im federnden Knöchel und seh-
    nigen Bein. Kül Kalüa, Kind, Urglut und
    Kinderunschuld des heiligen Südostens,
    tausend Nächte lagst du an Klingsors
    Brust, und jede war neu, jede war inniger,
    war holder als alle gewesenen. Oh, Fest des
    Erdgeistes, wo die Jungfern der Papagei-
    eninsel vor dem Gott tanzten!
    Über Insel, Robinson und Klingsor, über
    Geschichte und Zuhörer wölbte sich die
    weißgestirnte Nacht, zärtlich schwoll der
    Berg wie ein sanfter atmender Bauch und
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    Busen unter den Bäumen und Häusern und
    Füßen der Menschen, im Eilschritt tanzte
    fiebernd der feuchte Mond über die Him-
    melshalbkugel, von den Sternen im wilden
    schweigenden Tanz verfolgt. Ketten von
    Sternen waren aufgereiht, gleißende
    Schnur der Drahtseilbahn zum Paradiese.
    Urwald dunkelte mütterlich, Schlamm der
    Urwelt duftete Verfall und Zeugung,
    Schlange kroch und Krokodil, ohne Ufer
    ergoß sich der Strom der Gestaltungen.
    »Ich werde doch wieder malen«, sagte
    Klingsor, »schon morgen. Aber nicht mehr
    diese Häuser und Leute und Räume. Ich
    male Krokodile und Seesterne, Drachen
    und Purpurschlangen, und alles im Wer-
    den, alles in der Wandlung, voll Sehnsucht,
    Mensch zu werden, voll Sehnsucht, Stern
    zu werden, voll Geburt, voll
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