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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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verschwand, kam wieder und hatte
    ein grünes Brusttuch umgebunden. Sie
    verschwand, kam wieder und hatte ein
    blaues Kopftuch umgebunden.
    Nach Tische, ermüdet und gesättigt, brach
    man fröhlich auf, in den Wald, legte sich in
    Gras und Moos, Sonnenschirme leuchte-
    ten, unter Strohhüten glühten Gesichter,
    gleißend brannte der Sonnenhimmel. Die
    Königin der Gebirge lag rot im grünen
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    Gras, hell stieg ihr feiner Hals aus der
    Flamme, satt und belebt saß ihr hoher
    Schuh am schlanken Fuß. Klingsor, ihr
    nahe, las sie, studierte sie, fühlte sich mit
    ihr, wie er als Knabe die Zaubergeschichte
    von der Königin der Gebirge gelesen und
    sich mit ihr gefüllt hatte. Man ruhte, man
    schlummerte, man plauderte, man kämpfte
    mit Ameisen, glaubte Schlangen zu hö-
    ren, stachlige Kastanienschalen blieben in
    Frauenhaaren hängen. Man dachte an ab-
    wesende Freunde, die in diese Stunde ge-
    paßt hätten, es waren nicht viele, Louis der
    Grausame wurde herbeigesehnt, Klingsors
    Freund, der Maler der Karusselle und Zir-
    kusse, sein phantastischer Geist schwebte
    nah über der Runde.
    Der Nachmittag ging hin wie ein Jahr im
    Paradiese. Beim Abschied wurde viel ge-
    lacht, Klingsor nahm alles in seinem Her-
    zen mit: die Königin, den Wald, den Palast
    und Delphinensaal, die beiden Hunde, den
    Papagei.
    Im Bergabwandern zwischen den Freun-
    den überkam ihn allmählich die frohe und
    hingerissene Laune, die er nur an den selte-
    nen Tagen kannte, in denen er freiwillig die
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    Arbeit hatte ruhen lassen. Hand in Hand
    mit Ersilia, mit Hermann, mit der Malerin
    tanzte er die besonnte Straße hinab,
    stimmte Lieder an, ergötzte sich kindlich
    an Witzen und Wortspielen, lachte hinge-
    geben. Er rannte den andern voraus und
    versteckte sich in einen Hinterhalt, um sie
    zu erschrecken.
    So rasch man ging, die Sonne ging rascher,
    schon bei Palazzetto sank sie hinter den
    Berg, und unten im Tale war es schon
    Abend. Sie hatten den Weg verfehlt und
    waren zu tief gestiegen, man war hungrig
    und müde und mußte die Pläne aufgeben,
    die man für den Abend gesponnen hatte:
    Spaziergang durchs Korn nach Barengo,
    Fischessen im Wirtshaus des Seedorfes.
    »Liebe Leute«, sagte Klingsor, der sich auf
    eine Mauer am Wege gesetzt hatte, »unsre
    Pläne waren ja sehr schön, und ein gutes
    Abendessen bei den Fischern oder im
    Monte d᾽oro würde gewiß mich dankbar
    finden. Aber wir kommen nicht mehr so
    weit, ich wenigstens nicht. Ich bin müde,
    und ich habe Hunger. Ich gehe von hier aus
    keinen Schritt mehr weiter als bis zum
    nächsten Grotto, der gewiß nicht weit ist.
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    Dort gibt es Wein und Brot, das genügt.
    Wer kommt mit?«
    Sie kamen alle. Der Grotto wurde gefun-
    den, im steilen Bergwald auf schmaler Ter-
    rasse standen Steinbänke und Tische im
    Baumdunkel, aus dem Felsenkeller brachte
    der Wirt den kühlen Wein, Brot war da.
    Nun saß man schweigend und essend, froh,
    endlich zu sitzen. Hinter den hohen Baum-
    stämmen erlosch der Tag, der blaue Berg
    wurde schwarz, die rote Straße wurde
    weiß, man hörte unten auf der nächtlichen
    Straße einen Wagen fahren und einen
    Hund bellen, da und dort gingen am Him-
    mel Sterne und an der Erde Lichter auf,
    nicht voneinander zu unterscheiden.
    Glücklich saß Klingsor, ruhte, sah in die
    Nacht, füllte sich langsam mit Schwarz-
    brot, leerte still die bläulichen Tassen mit
    Wein. Gesättigt fing er wieder zu plaudern
    und zu singen an, schaukelte sich im Takt
    der Lieder, spielte mit den Frauen, witterte
    im Duft ihrer Haare. Der Wein schien ihm
    gut. Alter Verführer, redete er leicht die
    Vorschläge zum Weitergehen nieder, trank
    Wein, schenkte Wein ein, stieß zärtlich an,
    ließ neuen Wein kommen. Langsam stie-
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    gen aus den irdenen bläulichen Tassen,
    Sinnbild der Vergänglichkeit, die bunten
    Zauber, wandelten die Welt, färbten Stern
    und Licht.
    Hoch saßen sie in schwebender Schaukel
    überm Abgrund der Welt und Nacht, Vö-
    gel in goldenem Käfig, ohne Heimat, ohne
    Schwere, den Sternen gegenüber. Sie san-
    gen, die Vögel, sangen exotische Lieder, sie
    phantasierten aus berauschten Herzen in
    die Nacht, in den Himmel, in den Wald, in
    das fragwürdige, bezauberte Weltall hin-
    ein. Antwort kam von Stern und Mond,
    von Baum und Gebirg, Goethe saß da und
    Hafis, heiß duftete Ägypten und innig
    Griechenland herauf, Mozart lächelte,
    Hugo Wolf spielte den Flügel in der irren
    Nacht.
    Lärm krachte erschreckend auf, Licht
    blitzte knallend:
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