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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren
Autoren: Michael Klonovsky
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Schrecken der Worte einer Kollegin, die mir, als sie von unserem Vorhaben hörte, prophezeit hatte: »Der macht dich fertig.«
    Ich folgte mit meinen breiteren Reifen in seinem Windschatten und stellte mit nicht geringer Erleichterung fest, dass ich an den zahlreichen kurzen Steigungen dranzubleiben vermochte. Etwa ab Kilometer 40 begann ich, die Anmut der bayrischen Biergärten zu preisen, speziell jener, an welchen wir unbegreiflicherweise bereits vorbeigefahren waren. Irgendwann ließ der Wackere sich zum ersten Boxenstopp breitschlagen.
    Wir fuhren an diesem Tag vielleicht 120 Kilometer weit, und zwar so schnell wir konnten. In den kurzen Pausen tranken wir mehrere Liter Bier. Während ich schweißtriefend und glutköpfig die Pedale bearbeitete, dämmerte in mir die Ahnung, dass auf dem Rad Selbstwahrnehmungen ungeahnter Intensität möglich sind. Der Stress des ständigen Tretens, die enorme Hitze und der Bierrausch schienen mir zudem ideale Ingredienzen eines in seiner Wirkung noch schwindelerregend steigerbaren Gesamtkunstwerkes zu sein. Es war noch keineswegs
das
Evidenzerlebnis, aber ein Erlebnis höherer Ordnung war es auf jeden Fall.
    Damals schloss ich übrigens Bekanntschaft mit einem so genannten
Hungerast
. Ich hatte zwar jede Menge getrunken, nur ans Essen überhaupt nicht gedacht – was wusste ich schon vom Kalorienverbrauch durch Radfahren? –, so dassich plötzlich eine minimale Steigung nicht mehr hinaufkam. Wie damals, als die beiden Knaben mich überholten, gehorchten meine Beine partout nicht mehr der Aufforderung, sich zu bewegen, wenngleich das Gefühl ein anderes war, die Schwäche schien nicht generell in den Beinen zu stecken, sondern mir war, als habe jemand meinen Netzstecker gezogen. Es waren noch etwa 30 Kilometer bis München. Interessanterweise signalisierte mir mein von der Situation ebenso überraschter Körper plötzlich ein dermaßen soghaftes Hungergefühl, dass ich meinen Zustand gar nicht fehlinterpretieren konnte. Ich schob mein Rad zum nächsten Biergarten und nötigte meinen Mitstreiter, dasselbe zu tun, dort verschlang ich ein halbes Hähnchen – und auf einmal ging es wieder. Es war ein erstaunliches Phänomen. Ich hatte die fundamentale Verbindung von Radfahren und Essen im Selbstversuch ergründet und den Unterschied zwischen genereller und temporärer Schwäche erfahren. Die Mär stimmte also, dass man sich anständig den Bauch vollschlagen muss, bevor man aufs Rad steigt. Der für meine sich entwickelnde Passion vielleicht noch wichtigere Umkehrschluss – dass man anständig Rad fährt, um sich danach hemmungsfrei den Bauch vollzuschlagen und einen anständigen Rausch draufzusetzen – hatte am selben Abend Premiere. Ich bin noch nie davon abgewichen.
    Mein Interesse war also geweckt, ich umkurvte in der Folgezeit ein paarmal den Starnberger See und kaufte mir schließlich ein gebrauchtes Rennrad, um die ganze Angelegenheit etwas schneller durchziehen zu können. Aber Passion war das noch nicht. Laufen fand ich nach wie vor einleuchtender, vor allem wegen des geringeren Zeitaufwands.
    Das wirkliche Evidenzerlebnis fand exakt ein Jahr später statt. Ein großer deutscher Konzern, zu dem auch eine überauserfolgreiche Radsportmannschaft gehört, gewährte einer Handvoll Journalisten und anderen Auserwählten die Huld, einen Teil einer Tour-de-France-Etappe mit dem Original-Equipment zu bestreiten sowie tags darauf im Auto die echte Etappe zu begleiten. Das Ungewöhnliche daran war der Verzicht auf eine journalistische Gegenleistung; nicht einmal andeutungsweise kam die Rede darauf. Vielleicht irre ich mich aber auch (ich bin später von diesem Konzern nie wieder eingeladen worden). Es ist leider und irgendwie logischerweise üblich, dass von eingeladenen Skribenten spätere journalistische Lobpreisungen erwartet werden. Mir ist zum Beispiel von einem Hersteller angeboten worden, an der Seite einer waschechten Triathlon-Irgendwasmeisterin auf Prototypen eines Rennrades mit integriertem 50 0-Watt -Elektromotor irgendeine australische Wüste zu durchqueren. Also sozusagen Armstrong und ich auf einem Rad, und die Triathletin, ebenfalls mit einem zusätzlichen Armstrong unterm Sattel, daneben. Was wäre das für ein Ausritt gewesen! Australien hätte ich allenfalls in Kauf genommen, aber nicht die Idee, mich mehr oder weniger kaufen zu lassen. So fuhr denn ein anderer an der Seit’ der muskulösen Maid ...
    Aber zurück ins Jahr 1998. Die Offerte landete durch Zufall
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