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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren
Autoren: Michael Klonovsky
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direkt an meiner Seite der Barriere entlanggespurtet, mir seinerzeit noch nicht geläufigen Gesetzen des Windschattenfahrens gehorchend. Die Digitalanzeige über dem Ziel zeigte knapp 70 Stundenkilometer.
    Ich bemerkte, dass ich eine Gänsehaut hatte – diese Verrückten waren immerhin vorher 200 Kilometer durchs Gebirge gefahren. Binnen 24 Stunden war ich sozusagen aktiv und passiv fürs Radfahren entflammt. Die Euphorie brachte ich mit nach Hause. Fortan fuhr ich nahezu jedes Wochenende gen Süden und kehrte nie unter 100 absolvierten Kilometern zurück. Ich reduzierte im Fitnessstudio alle anderen Übungen zugunsten des Radtrainings, fuhr noch öfter mitdem Rad ins Büro und versuchte, nach Feierabend möglichst ein paar Kilometer abzuspulen.
    Etwas deprimiert war ich, als ich das Video erhielt, das den Teilnehmern der Sekundär-Etappe zugesandt wurde. Der von allen den unmöglichsten Stil fuhr, steifarmig, den Nacken verspannt, den Kopf hängend und dermaßen o-beinig, als trüge er Einkaufstüten am Lenker, das war ich. Über den Gang, mit welchem ich bergauf kurbelte, sei der Mantel des Schweigens gebreitet, auf jeden Fall sah es extrem ulkig aus, gerade in Kombination mit dieser Beinstellung. Das redensartliche
wie ein Affe auf dem Schleifstein
ist nur abgelutscht, unbedingt falsch wäre es auch in diesem Fall nicht gewesen. Fernerhin fand ich mich zu dick (die Fahrradmontur zeigt so etwas gnadenlos). Dieses Video war entschieden nicht vorzeigbar.
    Was soll’s, dachte ich innerlich seufzend, auch Parsifal hat seine Heldenkarriere als Haltungsnoten-Narr mit einem Speer ohne reguläre Spitze begonnen. Ich korrigierte meine Sitzposition und Beinstellung vor dem Spiegel, stellte den Sattel höher, kaufte mir Klickpedale und schließlich ein neues Rennrad. Zwischenzeitlich fastete ich sogar, um mein Gewicht zu reduzieren, und änderte meine Ernährungsgewohnheiten (außer abends). Und abgesehen davon, dass ich beim Fahren dauernd an Grenzen stieß, fühlte sich alles recht gut an.

Beisichsein
oder:
Die Einsamkeit des Langstreckenradlers
    Würde man einen Profi fragen, er erteilte gewiss die Auskunft, dass Radfahren ein Mannschaftssport ist. In der Tat können die Meisterpedaleure die großen Rundfahrten nur gewinnen, weil ihr Team aufopferungsvoll für sie kämpft, ihnen Windschatten spendet, Lücken zu Ausreißern schließt, den Spurt anfährt, sie bis zum finalen Anstieg über die Berge zieht und, selbstverständlich, auch die Wasserträger für den Chef stellt. Lance Armstrong bemerkte einmal, von seinem Gelben Trikot gebühre ihm allenfalls der Reißverschluss, der Rest gehöre der Mannschaft. Die meiste Zeit des Jahres trainieren die Profis im Team; es fährt sich leichter, und man muss sich schließlich kennen lernen.
    Viele Freizeitradfreaks agieren freilich eher in der Nähe jener frühen Tour-Einzelkämpfer, die sich, Ersatzschläuche wie Patronengurte umgehängt, auf eigene Faust durch Frankreich schlugen. Zumindest ist das meine Beobachtung. Die meisten fahren allein. Mag sein, dass sich viele Grüppchen in den Bergen trennen, weil man eben doch verschiedene Tempi anschlägt, und sich gegen Ende wieder vereinen. Die größte Gruppe, in der ich jemals gefahren bin, bestand aus drei Mann. Wer keine Rennen fährt, braucht keine Mannschaft.
    Ein Vorteil der Gruppe besteht darin, dass man kollektiv zügiger unterwegs ist. Zwei sind schneller als einer, zehn schneller als zwei, und zwanzig schneller als zehn. Das liegt am Windschatten, den man sich gegenseitig spendet, einegroße Schar ist quasi in einer Luftblase unterwegs, und das ist auch der Grund, warum bei Rennen das Hauptfeld die Ausreißer in der Regel immer wieder einholt. Somit ist der Aktionsradius einer Gruppe vergleichsweise größer, und man kommt mehr herum. Ein weiterer Vorteil der nichtsolistischen Variante besteht darin, dass man sich gegenseitig motivieren, allerlei Scharmützel liefern und sich an schwachen Tagen ziehen lassen kann, sowie im Bedarfsfall, mein größter Graus, bei Reparaturen zur Seite steht. Außerdem: Mit einer Gruppe in einen Biergarten einzufallen ist amüsanter, als autistisch über seiner Maß zu grübeln.
    Trotzdem fahre ich allein. Es muss also auch starke Gründe für diese Variante geben.
    Zunächst, negativ formuliert, scheitert für mich die Fahrgemeinschaftsgründung an der Unwahrscheinlichkeit, jemanden aufzutreiben, der in etwa gleich stark beziehungsweise schwach und obendrein ein angenehmer
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