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Klausen

Klausen

Titel: Klausen
Autoren: Andreas Maier
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die Unterschiede beruhen lediglich auf Eitelkeit. Die Mutter sagte, sie verstehe überhaupt gar nichts. Sie wisse nicht einmal, wovon er die ganze Zeit rede. Natürlich sei er wie alle anderen, wie soll er denn sonst sein, was sei das denn für ein seltsamer Gedanke? Und wieso er von der Wahrheit rede, wie komme er denn plötzlich auf Wahrheit? Er sei so eigenartig geworden. Gasser ballte seine Fäuste. Dann verzog er auf häßliche Weise sein Gesicht, denn er dachte, daß er es nicht mehr aushalte und nun unbedingt gehen müsse. Er stand jetzt in der Tür, betrachtete seine Mutter und überlegte folgendes. Wieso sitzt sie nur immerfort auf diesem Stuhl? Vor einiger Zeit hat sie damit begonnen, sich auf diesen Stuhl zu setzen, ganz demonstrativ. Schaut her, heißt das, hier ist dieser alte, schäbige Stuhl, er ist wirklich sehr schäbig, er ist bereits ruiniert, und ich setze mich auf ihn. Ich, nicht ihr. Der älteste und schäbigste Stuhl, und er ist mir gerade recht, denn ich setze mich auf ihn, und genau da gehöre ich hin, das ist mein Platz in dieser Welt, und das ist meine einzige wirkliche Tat der Welt gegenüber, nämlich mich auf diesen Stuhl zu setzen, sonst interessiert mich überhaupt nichts … Gasser hatte nun plötzlich Lust, seine Mutter von diesem Stuhl herunterzuziehen und ihr ins Gesicht zu schreien, sie solle endlich damit aufhören, sich dauernd auf diese demonstrative und vor allen Dingen eitle Weise kleinzumachen und zu erniedrigen, er habesie durchschaut, sie mache das alles nur aus eitlen Gründen … diese ganze demonstrative Kleinheit, sie ließ ihn vor Wut fast überkochen … aber er sagte kein Wort, sondern nahm seinen Mantel und ging. Unten auf der Straße kam er erst sehr langsam wieder zu sich. Er lief einfach ein Stück des Weges und merkte nicht einmal, wohin er lief. Er sah nun sehr seltsam aus, denn seine Augen starrten eigenartig in die Ferne. Zu ärgerlich, sagte er sich. Wieso bin ich überhaupt dort hingegangen? Sie verstehen doch nichts, und ich kann sie ebenfalls nicht verstehen, sie sind mir vollkommen fremd. Er blieb stehen und hatte das Gefühl, tief Luft holen zu müssen. Dann versank er wieder in Gedanken. Deine Schwester ist also ganz einfach diese Schauspielerin Kati Gasser geworden. So geht das, einfach so, ohne jeden Grund. Und sie heiratet und redet jetzt sogar von einem Kinderwunsch. Ja, wirklich: Sie heiratet ausgerechnet diesen Martin Delazer. Jetzt fällt mir wieder ein: Ich wollte ja unter anderem deshalb mit ihr zusammenkommen, um ihr das auszureden, um ihr unbedingt auszureden, diesen Martin Delazer zu heiraten. Das ist überhaupt das wichtigste, daß sie nämlich diesen Martin Delazer nicht heiratet. Allerdings habe ich es vergessen, ich habe diese Angelegenheit, glaube ich, nicht einmal berührt. Wie ist sie nur auf diesen Menschen gekommen? Sie inszenieren das für die Magazine, ich weiß es, aber sie gibt es nicht zu. Die Südtiroler Traumhochzeit , wird es heißen in den Magazinen. Die berühmte Schauspielerin, der berühmte Architekt, man sieht es schon vorsich. So wird sie sich in ihr Unglück stürzen. Und doch, möglicherweise wird sie nicht einmal merken, daß es ihr Unglück ist, denn so ist es ja: geradezu alle Menschen stürzen sich ins Unglück, sich und damit auch die anderen, und merken es nicht und halten es einfach für ihr Glück oder zumindest für völlig normal, für so normal, daß ihnen überhaupt nichts daran auffällt. Soll sie doch Paolucci heiraten! Paolucci wird nervös, wenn die Rede auf meine Schwester kommt, das sieht man, aber er sagt nichts dazu. Wieso fällt mir nun aber Paolucci ein? … sie verlangt Kinder von Delazer, denn diese werden ihr Glück sein, die Delazergasserschen Kinder. Was für eine Ideologie! Eine ganz und gar theoretische Ideologie, so ein Kinderwunsch. Ich kann mir gar nichts Theoretischeres vorstellen. Früher habe ich oft gedacht, daß das Kinderkriegen ein ganz und gar theoretisch-ideologischer Akt ist und nichts mit der Natur zu tun hat, aber dann habe ich diesen Gedanken vergessen, denn er ist ja wirklich sehr seltsam. Aber wenn ich jetzt Kati sehe, ihre ganze Unnatürlichkeit im Gesicht, der fremde Klang in ihren Worten, die ganze Künstlichkeit dieser Leute … fast aller Leute … jetzt denke ich diesen Gedanken wieder. Ich kann gar nicht anders, ich muß so denken, weil es nämlich die Wahrheit über Kati ist, und ich kann nicht immer die Wahrheit, so eigenartig sie auch klingen mag, von mir
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