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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition)
Autoren: T. A. Wegberg
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noch neben ihm.
    Überrascht nimmt er die Brille wieder ab. «Benjamin? Ist noch was?» Die Klasse prustet los. «Ähm, ich glaub, da ist, da ist kein Platz mehr frei», stottere ich. Die reine Wahrheit. Alle Tische und Stühle sind besetzt. Und ihre Eigentümer krümmen sich vor Lachen. Was für ein gelungener Einstieg, echt. Ich werde hier unfreiwillig zum Klassenclown, und es gibt nicht mal einen Stuhl für mich. Falls diese Situation Symbolcharakter haben sollte: Herzlichen Glückwunsch.

    M eine erste Probe mit Ramon und Till war eine Katastrophe. Ich war ja schon kein besonders guter Gitarrist, aber die beiden waren noch viel schlechter. Till konnte keinen Takt halten, und Ramon beherrschte eigentlich nur einen einzigen Basslauf einigermaßen fließend, nämlich den von Johnny Cashs Walk the line – der wahrscheinlich simpelste Wechselbass der Musikgeschichte. Zusammengenommen reichte unser Talent bestenfalls für den Auftritt auf einem Schützenfest, und das auch erst nach Mitternacht, wenn alle schon hackedicht sind.
    Aber das konnte mich überhaupt nicht entmutigen, denn eins war klar: So unterirdisch unsere Musik auch sein mochte, wir sahen umwerfend aus. Till hatte wie alle Drummer muskulöse Oberarme und einen kräftigen Brustkorb. Ramon war lang, dünn, bleich und schwarzhaarig wie ein heroinabhängiger Gothic-Star. Und ich selbst war der strahlend blonde Frontmann, die coole Rampensau, der Mädchenliebling.
    Wahrscheinlich werden die wenigsten Bands aus Liebe zur Musik gegründet, sondern vielmehr weil Rockmusiker immer diesen Kometenschweif von Fans und Groupies hinter sich herziehen. Und genau das war auch mein oberstes Ziel. Ich wollte von der Bühne in ein Meer hochgereckter Arme springen und von ihnen getragen werden, ich wollte hysterisch heulende Mädchen mit verschmierter Wimperntusche meinen Namen kreischen hören, ich wollte Fanpost in Waschkörben kriegen und in verwüsteten Hotelzimmern Orgien feiern.
    Um diese Vision wahr werden zu lassen, musste ich über unsere musikalischen Schwächen großzügig hinwegsehen. Ich entschied, dass Till und Ramon das Beste waren, was mir passieren konnte. Nach unserer ersten Probe schlenderte ich zufrieden nach Hause und schrieb am selben Abend vier Songs.

[zur Inhaltsübersicht]
    12
    A ch, oje, ja. Dann müssen wir wohl noch einen Tisch und einen Stuhl holen.» Wir. Schon wieder. Der Klassenlehrer fingert ein Schlüsselbund aus seiner Hosentasche. «Henning, geh doch mal mit Benjamin runter in den Lagerraum.»
    Ein Lockenkopf mit Brille in der ersten Bankreihe zieht unbehaglich die Schultern hoch. «Hä? Was denn für ’n Lagerraum?»
    «Ach komm, das weißt du doch ganz genau. Unten neben dem Raum vom Hausmeister.» Der Lehrer hält einen der Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger. Henning stemmt sich widerwillig hoch, schnappt sich den Schlüssel und verlässt dann die Klasse, ohne sich drum zu kümmern, ob ich mitkomme oder nicht.

    N ur wenige Monate später hatte unsere Band den ersten Live-Auftritt: die Abschlussfeier der Zwölftklässler. Einer der Abiturienten war Tills großer Bruder, und der hatte sich für uns starkgemacht. Unser Gig sollte nur eine halbe Stunde dauern, aber das war völlig okay, mehr gab unser Repertoire sowieso nicht her. Und er fing schon um zwanzig Uhr an, weil wir alle erst vierzehn waren. Das war ein kleines bisschen uncool, hatte aber den Vorteil, dass auch unsere Klassenkameraden dabei sein konnten.
    Wir spielten sechs Songs. Vier davon waren schlichte Coverversionen. Mehr war in der kurzen Zeit einfach nicht drin gewesen. Aber die letzten zwei Songs waren selbst komponiert und getextet – und zwar zum größten Teil von mir. Den Song über Billie spielten wir nicht. Trotzdem war der Erfolg echt überwältigend.
    Das lag bestimmt auch daran, dass Ramon seinen lang geübten Luftsprung beim Schlussakkord absolut perfekt hinkriegte, ohne sich wie bei der letzten Probe aufs Maul zu packen. Till blieb nur ein- oder zweimal ein bisschen hinter unserem Tempo zurück, und ich setzte meine Mähne effektvoll mit wildem Headbanging in Szene. Sogar die obercoolen Abiturienten johlten und pfiffen vor Begeisterung – oder vielleicht auch aus Mitleid mit uns, was weiß ich. Am Ende zählte nur, dass die Burst Frenchies sich mit diesem Auftritt einen legendären Ruf erwarben.
    Alle waren da: meine Eltern, mein Bruder, fast meine ganze Klasse, ein paar Freunde aus der Grundschule, Fußballkumpels und sogar eine Cousine von Ramon
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