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Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke

Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke

Titel: Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
Autoren: Sue Grafton
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uns so lange nach der Tatsache noch zu beeinflussen.«
    »Wie weit reicht das zurück?«
    »Siebzehn Jahre, fast auf den Tag genau.« Sie kniff die Lippen zusammen, schüttelte dann wieder den Kopf. »Als Teenager war Lance rebellisch und verschlossen. Er und Woody gerieten unaufhörlich aneinander, aber so ist das mit Jungs. Lance war in einem Alter, in dem er sich behaupten mußte.«
    »Ash hat erzählt, er wäre damals ein paarmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten.«
    Sie machte eine ungeduldige Bewegung. »Er hatte ständig Ärger. Heute nennt man das >sich austobem, aber ich habe ihn nicht für einen schlechten Jungen gehalten. Ich glaube das auch heute noch nicht. Er hatte eine schwierige Jugend...« Sie brach ab, holte tief Luft. »Ich will diesen Punkt nicht beklagen. Was geschehen ist, ist geschehen. Woody hat ihn schließlich zur Militärakademie geschickt, und danach ging er in die Armee. Wir haben ihn kaum gesehen, bis er zu Weihnachten Urlaub hatte und nach Hause kam. Da schien alles in Ordnung mit ihm. Er war erwachsen. Reif. Ruhig und angenehm und zivilisiert uns beiden gegenüber. Er fing an, sich für die Firma zu interessieren. Er sprach davon, sich niederzulassen und das Geschäft zu lernen. Woody war selig.« Sie entnahm ihrer Tasche ein Taschentuch, das sie an die Lippen preßte und das den Schweißfilm aufsaugte, der sich wie Tau darauf gelegt hatte.
    Bislang hatte sie mir noch nichts erzählt, was ich nicht schon gewußt hätte. »Was geschah dann?«
    »In jenem Jahr... als Lance heimkam und alles so gut lief... in jenem Jahr... es war der Neujahrstag. Ich erinnere mich noch, wie glücklich ich war, weil alles so schön anfing. Da erschien Bass mit einer völlig absurden Geschichte bei uns. Irgendwie habe ich ihm wohl immer die Schuld gegeben, tief in meinem Herzen. Er hat alles verdorben. Ich habe ihm nie wirklich verziehen, obgleich es wohl kaum seine Schuld war. Bass war damals erst dreizehn. Doch schon in diesem Alter wußte er Bescheid über Boshaftigkeit, und er genoß das alles so sehr.«
    Das hat sich nicht geändert, dachte ich. »Was hat er Ihnen erzählt?«
    »Er sagte, er hätte Lance erwischt. Er kam dann direkt zu uns, mit diesem verschlagenen Ausdruck in den Augen, tat so, als wäre er traurig, dabei wußte er ganz genau, was er tat. Zuerst hat Woody ihm kein Wort geglaubt.«
    »Wobei hat er Lance erwischt?«
    Schweigen senkte sich, und dann zwang sie sich weiterzureden, mit so leiser Stimme, daß ich gezwungen war, mich näherzubeugen. »Mit Olive«, hauchte sie. »Lance und Olive. In ihrem Zimmer, auf dem Bett. Sie war sechzehn und so schön. Ich dachte, ich müßte vor Schande und Scham sterben, aus Ekel vor dem, was da vorging. Woody wurde wahnsinnig. Er brüllte vor Wut. Lance schwor, daß es ganz unschuldig gewesen wäre, daß Bass alles falsch verstanden hatte, daß es Unsinn wäre. Absurd, daß wir so etwas glauben könnten. Woody hat Lance halb totgeprügelt. Es war schrecklich. Ich dachte, er würde ihn umbringen. Lance schwor, es wäre nur einmal passiert. Er schwor, er würde nie wieder Hand an sie legen, und er hat sein Versprechen gehalten. Das weiß ich.«
    »Damals wurde Olive ins Internat geschickt«, sagte ich.
    Helen nickte.
    »Wer wußte sonst noch von dem Vorfall?«
    »Niemand. Nur wir fünf. Lance und Olive, Bass und Woody und ich. Ebony war in Europa. Ash wußte, daß etwas Entsetzliches passiert war, aber sie hat nie erfahren, was.«
    Wieder trat Stille ein. Helen strich den zerschlissenen Stoff auf der Armlehne ihres Schaukelstuhls glatt, aus dem sie einzelne Fäden herausgezupft hatte. Sie starrte mich an. Aus ihrem Gesicht sprach das schlechte Gewissen, wie bei einem alten Hund, der irgendwo eine Pfütze gemacht hat, die man noch nicht entdeckt hat. Da steckte noch mehr dahinter, da war noch etwas, das sie nicht zugeben wollte.
    »Und weiter?« bohrte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. Ihre Wangen hatten jetzt leuchtendrote Flecken.
    »Erzählen Sie es mir, Helen. Das kann auch nichts mehr ausmachen.«
    »O doch, das kann es«, widersprach sie leise. Sie hatte angefangen zu weinen. Ich konnte sehen, wie sie sich verschloß, wie sie ihre Gefühle wieder einsperrte, ganz wie in all den Jahren seither.
    Ich wartete so lange, daß ich schon nicht mehr daran glaubte, sie könnte es noch zu Ende bringen. Ihre Hände fingen an zu zittern, tanzten einen ganz eigenen Tanz, einen Jitterbug der Angst und Sorge. Endlich redete sie. »Lance hat gelogen. Es war schon
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