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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos
Autoren: Sue Grafton
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bereits Bescheid wußte.« Er brach ab, offensichtlich verwirrt. »Ich hätte vielleicht meinem Therapeuten von all dem erzählt, wenn er dagewesen wäre. Na ja, die Perücke ist jedenfalls teuer. Das ist echtes Haar.«
    »Die Farbe ist auch hübsch«, sagte ich. Ich meine, was hätte ich sonst machen können? Sogar Tony begriff, wie absurd das war, und warf mir einen wütenden Blick zu.
    »Sie wollen mich bei Laune halten, stimmt’s?«
    »Natürlich!« fuhr ich ihn an. »Ich bin nicht hierhergekommen, um mit dir zu streiten.«
    Er zuckte leicht mit den Achseln und lächelte verlegen.
    »Hast du ihn dann wirklich Dienstagabend dort getroffen?« erkundigte ich mich.
    »Nein. Ich war dort. Da hatte ich schon alles geplant, bloß, als ich reinkam, saß er mit ‘nem Kerl an einem Tisch. Stellte sich raus, daß das Billy Polo war, aber das wußte ich da noch nicht. Billy saß in der Nische, mit dem Rücken zur Tür. Ich sah Daggett, merkte aber nicht, daß er Gesellschaft hatte, bis ich direkt vor ihm stand. In der Minute, als ich Billy entdeckt hab, bin ich abgehauen, aber da hatte er mich schon gesehen. Ich hab mir keine Sorgen gemacht. Dachte mir, ich würde den ohnehin nie wiedersehen. Ich hab mich noch ‘ne Weile da rumgetrieben, aber die waren wirklich vertieft in ihr Gespräch. Ich hab gemerkt, daß Billy ihn bearbeitet hat, und es war unwahrscheinlich, daß er das so bald unterlassen würde. Also hab ich einen Wagen angehalten und bin heim.«
    »War das eine der Nächte, in denen du Migräne hattest?«
    »Ja. Ich meine, manche sind echt, und manche sind falsch, aber ich mußte etwas haben, verstehen Sie? Damit ich kommen und gehen kann, wie es mir gefällt.«
    »Wie bist du zum Hub gekommen, mit dem Taxi?«
    »Mit dem Rad. In der Nacht, als ich ihn umgebracht hab, bin ich runtergefahren und hab es im Hafen gelassen, und dann habe ich von einer Telefonzelle ein Taxi gerufen und bin damit zum Hub gefahren.«
    »Woher wußtest du, daß er auftauchen würde?«
    »Weil er wieder angerufen und gesagt hat, er würde dort sein.«
    »Ist ihm nie in den Sinn gekommen, du wärest schon mal dagewesen?«
    »Woher sollte er das wissen? Er hatte mich seit vor der Verhandlung nicht mehr gesehen. Ich war damals zwölf, dreizehn, ein dicker Junge. Ich glaube, selbst wenn er es erraten hätte, hätte ich es trotzdem getan, ihn umgebracht... und wenn er erst einmal tot gewesen wäre, wer hätte dann noch etwas gewußt?«
    »Was ist schiefgegangen?«
    Er runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht. Das heißt, doch. Der Plan war in Ordnung. Es war etwas anderes.« Sein Blick traf meinen, und er sah jetzt genauso aus wie fünfzehn, die blonde Perücke verlieh seinem Gesicht, das durch Jugend noch ungeprägt war, Weichheit und Tiefe. Ich konnte sehen, wie leicht er als Frau durchgehen würde, schlank, mit reiner Haut, einem süßen Lächeln auf dem breiten Mund. Er schaute auf die Straße hinab, und einen Moment lang fürchtete ich, er würde sich hinabstürzen.
    »Als ich acht war, hatte ich diese kleinen Mäuse«, erzählte er. »Die waren wirklich süß. Ich habe sie in einem Käfig gehabt, mit einem Rad und einer Wasserflasche, die mit dem Kopf nach unten hing. Mom hat nicht geglaubt, daß ich für sie sorgen würde, aber ich hab’s getan. Ich hab Papierstreifen auf den Käfigboden gelegt, damit sie sich ein Nest bauen konnte. Jedenfalls hatte das Mausmädchen dann Babys. Die waren nicht länger als so.« Er zeigte das Ende eines kleinen Fingers. »Kahl«, fuhr er fort. »Ganz winzige, komische Dinger. An einem Wochenende mußten wir aus der Stadt fort, und als wir wiederkamen, hatte die Katze versucht, in den Käfig zu kommen. Hatte ihn vom Tisch gestoßen und alles. Die Mäuse waren fort. Wahrscheinlich hat die Katze sie erwischt, bis auf das eine, das in all den Papierschnipseln gelegen hatte. Nun ja, das Wasser war verschüttet, das Papier war naß, und das kleine Ding muß Lungenentzündung oder so gehabt haben, weil es so keuchte, als könnte es nicht richtig atmen. Ich hab versucht, es warm zu halten. Ich hab es stundenlang beobachtet, und es wurde immer schlimmer und schlimmer, und da hab ich beschlossen, daß ich es besser... Sie wissen schon, töten sollte. Damit es nicht länger leiden mußte.«
    Er beugte sich vor, seine Füße schwangen hin und her.
    »Mach das nicht«, murmelte ich besorgt. »Erzähl die Geschichte weiter. Ich will wissen, was dann passiert ist.«
    Da sah er mich an, seine Stimme klang ganz mild. »Ich
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