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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos
Autoren: Sue Grafton
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hab es in die Toilette geworfen. Das war die einzige Art, es zu töten, dir mir einfiel. Ich konnte es nicht zertreten, also hab ich mir gesagt, ich spül es einfach fort. Das kleine Ding war ohnehin schon halb tot, und ich dachte, ich würde ihm einen Gefallen tun, es von seinem Elend befreien. Aber ehe ich das tun konnte, fing dieses winzige, haarlose Baby an zu kämpfen. Man konnte sehen, daß es panische Angst hatte, versuchte, da herauszukommen, als wüßte es, was geschehen würde...« Er brach ab, fuhr sich an die Augen. »Daggett hat das auch gemacht, und jetzt kann ich diesen Ausdruck auf seinem Gesicht nicht vergessen, verstehen Sie? Ich sehe ihn den ganzen Tag vor mir. Er wußte es. Das war mir nur recht. Ich wollte das. Ich wollte, daß er wußte, daß ich es war, daß sein Leben keinen roten Heller mehr wert war. Ich dachte einfach, ihm hätte das nichts ausgemacht. Er war betrunken, ein Säufer, und er hatte all diese Menschen umgebracht. Er hätte sterben sollen. Er hätte sogar froh darüber sein sollen. Ich befreite ihn von seinem Elend, verstehen Sie? Warum also mußte er es so schwermachen?«
    Er verstummte, und dann atmete er laut aus. »Na ja, so ist das jedenfalls gelaufen. Ich kann nicht mehr schlafen. Ich träume von dem Zeug. Macht mich krank.«
    »Was ist mit Billy? Ich nehme an, er hat es begriffen, als er dich bei der Beerdigung sah.«
    »Ja. Das war komisch. Ihm war Daggett völlig egal, aber er glaubte, er müßte einen Teil des Geldes haben, wenn er den Mund halten würde. Ich hätte ihm ja alles gegeben, aber ich hab ihm nicht geglaubt. Sie hätten ihn sehen müssen. Prahlte da rum, stieß all diese Drohungen aus. Ich stellte mir vor, wie er eines Nachts ausplappern würde, was er wußte, und dann würde ich in der Patsche sitzen.«
    Der Rand der Nische schnitt langsam in mein Hinterteil. Ich hielt mich so fest, daß mein Arm schon taub wurde, aber ich wagte nicht, loszulassen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich uns beide hier herausbringen sollte, aber ich wußte, daß ich besser bald damit anfing.
    »Ich habe auch mal einen Mann getötet«, sagte ich. Ich wollte mehr sagen, aber das ist alles, was ich rausbrachte. Ich biß die Zähne zusammen, versuchte, die Gefühle wieder hinabzuzwingen, wo ich sie unter Verschluß gehalten hatte. Es überraschte mich, daß es nach all dieser Zeit noch immer schmerzte, daran zu denken.
    »Vorsätzlich?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Notwehr, aber tot ist tot.«
    Sein Lächeln war süß. »Sie können ja mit mir kommen.«
    »Sag das nicht. Ich werde nicht springen, und ich möchte auch nicht, daß du springst. Du bist fünfzehn Jahre alt. Es gibt eine Menge anderer Auswege.«
    »Ich glaube nicht.«
    »Deine Eltern haben Geld. Sie könnten Melvin Belli engagieren, wenn sie wollten.«
    »Meine Eltern sind tot.«
    »Nun, die Westfalls. Du weißt schon, was ich meine.«
    »Aber Kinsey, ich habe zwei Menschen umgebracht, und ich habe es geplant. Wie soll ich damit durchkommen?«
    »Auf dieselbe Art, wie es die Hälfte der Killer in diesem Land tut«, erklärte ich energisch. »Zum Teufel, Ted Bundy lebt auch noch, warum solltest du da nicht überleben?«
    »Wer ist das?«
    »Unwichtig. Jemand, der viel Schlimmeres getan hat als du.«
    Er dachte einen Moment lang nach. »Ich glaube nicht, daß das klappen würde. Ich fühle mich zu schlecht, und ich sehe kein Ziel.«
    »Es gibt keines. Das ist der Teil, den du erfinden mußt.«
    »Könnten Sie mir einen Gefallen tun?«
    »Sicher. Was?«
    »Könnten Sie meiner Tante ausrichten, ich hätte Lebwohl gesagt? Ich wollte ihr einen Brief schreiben, aber ich hatte keine Gelegenheit mehr.«
    »Verdammt noch mal, Tony! Tu’s nicht! Sie hat schon genug leiden müssen.«
    »Ich weiß, aber sie hat meinen Onkel Ferrin, und sie werden das schon schaffen. Sie haben sowieso nie so recht gewußt, was sie mit mir anfangen sollten.«
    »Aha, verstehe. Du hast dir schon alles überlegt.«
    »Ja, hab ich. Ich habe über all das gelesen. Keine große Sache. Ständig bringen sich irgendwelche Kinder um.«
    Ich ließ den Kopf hängen, unfähig, mir eine Antwort auszudenken. »Tony, hör zu«, sagte ich schließlich. »Es ist dumm, was du da sagst, und es ergibt keinen Sinn. Hast du eine Ahnung, wie schlimm das Leben für mich schien, als ich in deinem Alter war? Ich hab die ganze Zeit geweint und fühlte mich beschissen. Ich war häßlich. Ich war dürr. Ich war einsam, ich war verrückt. Ich hätte nie gedacht, daß ich da
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