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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Autoren: Sue Grafton
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verpaßte es beinahe, da ich beim erstenmal aus der anderen Richtung dorthin gekommen war. Nur flüchtig kriegte ich das Dach zu sehen, das fast auf einer Höhe mit der Straße lag. Ich hatte einen plötzlichen Einfall, stieg auf die Bremse und fuhr an den Straßenrand. Einen Augenblick saß ich da, mit vor Erregung klopfendem Herzen. Ich schaltete die Zündung aus, steckte die kleine Automatic in meine Jeans und nahm die Taschenlampe aus dem Handschuhfach. Ich knipste sie an. Das Licht war gut. Es gab nur sehr wenige Straßenlaternen auf diesem Abschnitt, und die ich sehen konnte, waren Verzierung, so trüb und nebelhaft wie ein altes Litho; sie warfen wirkungslose Lichtzirkel, die kaum die Dunkelheit durchdrangen. Ich stieg aus dem Wagen und schloß ihn ab.
    Da waren keine Gehsteige, nur ein Gewirr von wildem Wein entlang der Straße. Die Häuser lagen weit auseinander, mit Waldgrundstücken dazwischen, in denen jetzt Grillen und andere nachtschwärmende Insekten rumorten. Ich ging über die Straße zurück zu Powers’ Wohnung. Auf der anderen Seite waren gar keine Häuser. Weder in der einen noch in der anderen Richtung Autos. Ich hielt an. Im Haus war kein Licht zu sehen. Ich ging die Auffahrt hinunter und leuchtete vor mir her. Ich hätte gern gewußt, ob Powers noch auswärts war, und wenn ja, wo die Hunde waren. Wenn Charlie für zwei Tage nach Santa Maria gegangen war, konnte er die Hunde nicht ohne Aufsicht gelassen haben.
    Der Abend war still, das Meer dröhnte, ein wiederkehrendes Donnern wie vor dem Ausbruch eines Sturms. Nur eine dünne Mondkruste hob sich gegen den dunstigen Nachthimmel ab. Im übrigen war es kühl, die Luft roch süß und feucht. Das Licht der Taschenlampe schnitt einen schmalen Pfad die Auffahrt hinunter und erhellte plötzlich als weißes Band das Tor vor der Behelfsgarage. Dahinter stand John Powers’ Wagen, und schon im Näherkommen konnte ich sehen, daß er schwarz war. Ich war nicht überrascht. Das weiße Lattengitter des Tores war mit einem Vorhängeschloß gesichert, aber ich ging vorsichtig links um die Garage herum, auf die Hausfront zu. Ich leuchtete den Wagen an. Es war ein Lincoln. Ich wußte nicht, welches Baujahr, aber das Auto war nicht alt. Ich prüfte den linken Kotflügel, und er war in Ordnung. Ich konnte spüren, wie mein Herz vor Furcht dumpf zu hämmern anfing. Der rechte Kotflügel war zerdrückt, der Scheinwerfer herausgebrochen, die Metallfassung verbogen und losgerissen, die Stoßstange leicht eingebeult. Ich versuchte nicht an Gwens Körper im Moment des Aufpralls zu denken. Ich konnte mir vorstellen, wie es gewesen sein mußte.
    Ich hörte ein jähes Quietschen von Bremsen oben auf der Straße, das schrille Aufheulen eines Autos, das mit hoher Geschwindigkeit zurückstieß. Darauf folgte ein plötzlicher Einbruch von hellem Licht, als ein Wagen in die Auffahrt bog. Ich duckte mich automatisch, knipste die Taschenlampe aus. Wenn das Charlie war, war ich geliefert. Flüchtig bekam ich etwas Blaues zu sehen. O Scheiße. Er hatte Ruth angerufen. Er war zurück. Er wußte Bescheid. Die Scheinwerfer des Mercedes waren voll auf die Behelfsgarage gerichtet, nur Powers’ Fahrzeug schützte mich vor der Entdeckung. Ich hörte die Wagentür zuschlagen, und ich rannte.
    Ich flog über den Hof, glitt praktisch über das grob geschnittene Gras hin. Hinter mir kam, fast lautlos, das leise Tappen der Hunde in weit ausgreifenden Sätzen. Ich nahm die schmale Holztreppe zum Strand hinunter, meine Sicht war verschwommen nach dem grellen Glanz der Scheinwerfer. Ich verfehlte eine Stufe, tastete blind und rutschte halb zur nächsttieferen weiter. Über mir, nur Meter entfernt, knurrte der schwarze Hund und begann den Abstieg, seine Krallen scharrten auf den Stufen. Ich blickte hinter mich nach oben. Der Schwarze war direkt über meinem Kopf. Ohne auch nur nachzudenken, packte ich eines seiner langen, knochigen Vorderbeine und zerrte daran. Der Hund jaulte überrascht auf, und ich riß ihn nach vorn, schleuderte ihn fast die steile Felsenböschung hinunter. Der andere Hund winselte, ein fünfundneunzig Pfund schweres Hasenherz, und bahnte sich seinen Weg treppab mit Zittern. Ich verlor fast das Gleichgewicht, fing mich aber noch, und gelockertes Erdreich kullerte hinunter in die Dunkelheit vor mir. Ich hörte den anderen Hund an der Klippenwand hochspringen, aber er fand wohl keinen Halt, um sich heraufzuziehen, und strich ruhelos hin und her. Ich lag fast auf der Seite, als
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