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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Autoren: Sue Grafton
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Ich erblickte eine Holztreppe, die sich zickzackförmig an dem Klippenhang zu meiner Linken heraufwand; das windgebleichte Geländer stach weiß gegen das dunkle Gewirr der im Fels hängenden Pflanzen ab. Ich folgte der Linie mit den Augen bis obenhin. Vermutlich war es der Seashore Park an der Steilküste. Ein Rastplatz. Häuser auf der anderen Straßenseite. Ich packte das Geländer und begann den Aufstieg; meine Knie schmerzten beim Klettern, meine Brust hob sich schwer. Ich kam oben an, spähte über den Felsrand, und wieder blieb mir das Herz stehen. Charlies 450 SL parkte vor mir, das Licht der Scheinwerfer lag auf dem Zaun. Ich tauchte weg und stieg die Treppe wieder hinunter, ein miauendes Geräusch in der Kehle, das ich nicht unterdrücken konnte. Mein Atem ging stoßweise, die Brust brannte mir. Ich landete wieder auf dem Sand und lief weiter, beschleunigte mein Tempo. Der Sand war jetzt tief, zu weich, und ich querte nach rechts, wo er naß und hartgepreßt war. Zumindest wurde mir nun wärmer; die Kleider scheuerten, Wasser tropfte aus salzverklebten Haarsträhnen. Mein linkes Knie tat stechend weh, und ich spürte, daß etwas Warmes durch mein Hosenbein sickerte. Der Strand wurde diesmal nicht von Felsen unterbrochen, sondern von der steilen Wand des Kliffs, das wie ein pastetenförmiger Keil in die Schwärze der See hineinragte. Ich watete den Wellen entgegen, die Unterströmung zerrte an mir, als ich um die Biegung kam. Ludlow Beach lag in Sichtweite voraus. Ich heulte fast vor Erleichterung. Ächzend rannte ich wieder los, bemüht um ein Tempo, das ich durchstehen konnte. Jetzt waren auch Lichter zu sehen, Gruppen dunkler Palmen gegen grauen Himmel. Ich verlangsamte zu einem Trab, um zu Atem zu kommen. Schließlich hielt ich an, beugte mich aus der Taille herunter; mein Mund war trocken, Schweiß oder Salzwasser rann mir übers Gesicht. Meine Wangen waren heiß, und meine Augen brannten. Ich wischte mir den Mund am Handrücken ab, und weiter ging es, diesmal im Schritt, wobei die Furcht wieder hochstieg, bis mir das Herz gegen die Rippen hämmerte.
    Dieser Abschnitt des Strandes, hellgrau, war freundlich und sauber und erweiterte sich nach links, wo das hohe Kliff schließlich in einen schrägen Hang überging, der zum flachen Sand hin abfiel. Weiter weg konnte ich die langgezogene Gerade des Parkplatzes sehen und noch weiter hinten die Straße, gut beleuchtet, leer und einladend. Der Strandpark schloß um acht, und ich dachte, der Strandpark wäre wahrscheinlich zugekettet und gesperrt. Dennoch war der Anblick von Charlies hellblauem 450 SL ein Schock — dieses einzige Fahrzeug auf der ganzen leeren Asphaltfläche. Seine Scheinwerfer waren eingeschaltet, sie leuchteten schräg nach vorn in die Palmen. Ich konnte unmöglich vom Sand aus auf die Straße gelangen, ohne daß er mich sehen würde. Die Dunkelheit, die sich zunächst zu lichten schien, war jetzt wie ein Schleier. Ich konnte nicht klar sehen. Ich konnte nichts erkennen in dem grau verschwimmenden Dunst. Die Straßenbeleuchtung erschien auf diese Entfernung sinnlos, launenhaft und grausam, denn sie erhellte nichts; sie markierte einen Weg aus der Gefahr, den ich nicht erreichen konnte. Und wo war er? Saß er im Wagen, suchte mit seinen Blicken den Park ab und wartete darauf, daß ich zu ihm durchstoßen würde? Oder war er draußen, zwischen den Palmen, viel näher am Strand?
    Ich wandte mich wieder nach rechts, watete hinaus ins Meer. Das eiskalte Wasser ließ mein Blut gefrieren, aber ich krebste weiter durch die Wellen, die mir gegen die Knie schwappten. Hier draußen war ich schwerer zu entdecken, und wenn ich ihn nicht sehen konnte, so konnte er mich wenigstens auch nicht sehen. Als ich weit genug draußen war, ließ ich mich sinken, und halb ging ich, halb schwebte ich durch die wogende Tiefe hinter den Brechern. Es kostete mich alle Mühe, die Pistole oben zu halten. Davon war ich besessen, auch wenn mir der Arm weh tat, auch wenn meine Finger taub wurden. Die Haare flössen um mein Gesicht wie naß gewordene Gaze. Ich beobachtete den Strand, sah wenig, suchte Charlie. Die Scheinwerfer waren noch an. Nichts. Niemand. Ich war vielleicht zweihundert Meter über den äußersten linken Rand des Parkplatzes hinausgelangt, fast auf einer Höhe jetzt mit dem Kiosk: eine kleine Oase aus Palmen und Picknicktischen, Müllbehältern, Telefonzellen. Ich stellte mich vorsichtig auf die Füße und hielt mich weiterhin rechts. Er konnte überall
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