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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Autoren: Sue Grafton
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Santa Teresa weigerte ich mich resolut, an Gwen zu denken. Über Charlie Scorsoni nachzudenken war schon deprimierend genug. Ich würde seinen Aufenthalt zu der Zeit, als Sharon starb, noch überprüfen müssen, aber er konnte ohne weiteres das Hotel in Denver verlassen haben und schnurstracks nach Las Vegas geflogen sein; konnte sich bei meinem Auftragsdienst die Adresse meines Motels geholt haben und mir von dort zum Fremont gefolgt sein. Ich dachte an Sharon — diesen Augenblick im Restaurant, als ich glaubte, sie hätte jemanden gesehen, den sie kannte. Sie hatte gesagt, es sei der Aufseher, der ihr das Ende ihrer Pause signalisierte, aber ich war sicher, daß sie gelogen hatte. Da konnte Charlie auf der Bildfläche erschienen sein und sich zurückgezogen haben, als er mich entdeckte. Sie dachte vielleicht, er sei gekommen, um sie auszuzahlen. Ich war relativ überzeugt, daß sie ihm Geld abgeknöpft hatte, aber auch das blieb noch zu beweisen. Sharon mußte gewußt haben, daß Fife niemals ein sexuelles Verhältnis mit Libby Glass hatte. Es war Charlie, der die Trips nach Los Angeles unternommen hatte, um über die Bücher zu sprechen. Sharon mußte während des Prozesses geschwiegen haben, sie mußte die Entwicklung der ganzen Geschichte beobachtet, den rechten Zeitpunkt abgewartet und schließlich aus ihren Informationen Kapital geschlagen haben. Es war auch möglich, daß Charlie Scorsoni nicht gewußt hatte, wo sie war — daß ich ihn auf dem kürzesten Weg zu ihrer Tür geführt hatte. Während ich die Kette der Ereignisse durchging, war mir bewußt, daß sich vieles davon anhörte wie reine Phantasie, aber ich hatte das Gefühl, ich war auf der richtigen Spur und konnte jetzt daran gehen, Beweise zu sammeln.
    Wenn Charlie Gwen bei diesem Unfall mit Fahrerflucht getötet hatte, mußte es Möglichkeiten geben, das bis zu ihm zurückzuverfolgen: Haare und Fasern auf dem Kotflügel seines Wagens, der wahrscheinlich beschädigt worden war und der Reparatur bedurfte; Lackteilchen und Glassplitter auf Gwens Kleidung. Vielleicht sogar ein Zeuge irgendwo. Es wäre sehr viel klüger gewesen, wenn Charlie gar nichts unternommen hätte — er hätte einfach Ruhe bewahren, den Mund halten und abwarten sollen. Nach all den Jahren wäre es wahrscheinlich unmöglich gewesen, ihm ein Verfahren anzuhängen. Aus seinem Verhalten sprach Arroganz, er hielt sich offenbar für zu schlau und zu raffiniert, als daß man ihn erwischen könnte. So gut war niemand. Schon gar nicht bei dem Tempo, das er neuerdings vorlegte. Da mußte er ja Fehler machen.
    Und warum hatte er die ursprüngliche Unterschlagung nicht eingestanden? Er mußte verzweifelt versucht haben, sich gegenüber Laurence Fife zu decken. Aber selbst wenn er aufgeflogen, wenn er erwischt worden wäre, glaubte ich nicht, daß Laurence ihn angezeigt hätte. So liederlich Fife auch in seinem Privatleben gewesen war, ich wußte, daß er in geschäftlichen Angelegenheiten absolut ehrlich war. Dennoch, Charlie war sein bester Freund, und die beiden hatten einen langen gemeinsamen Weg hinter sich. Er hätte Charlie vielleicht verwarnt oder ihm auf die Finger geklopft — vielleicht auch die Partnerschaft aufgelöst. Aber ich glaubte nicht, daß Charlie im Gefängnis gelandet oder aus dem Anwaltsstand ausgeschlossen worden wäre. Sein Leben wäre wahrscheinlich nicht zerstört gewesen, und wahrscheinlich hätte er nicht verloren, was er sich so mühsam erarbeitet hatte. Vielleicht hätte er Laurence Fifes gute Meinung und sein Vertrauen eingebüßt, aber darüber mußte er sich gleich im klaren gewesen sein, als er die Finger in die Keksdose steckte. Die absurde Wahrheit ist, daß in unseren Tagen ein Wirtschaftsverbrecher zur Berühmtheit werden kann; er kann zum Helden werden, in Talkshows auftreten und Bestseller schreiben. Warum also zittern? Die Gesellschaft verzeiht so ungefähr alles außer Mord. Es ist schwer, dieses Delikt mit einem Schulterzucken abzutun, es wegzuerklären, und hätte Charlie anfangs noch mit etwas befleckter Ehre, aber ungeschoren davonkommen können, so saß er jetzt gehörig in der Klemme, und alles schien noch schlimmer zu werden.
    An seine Beziehung zu mir durfte ich erst gar nicht denken. Er hatte mich für dumm verkauft, genauso wie vor Jahren Libby Glass, und sie hatte in ihrer Naivität zumindest eine bessere Entschuldigung dafür als ich. Es war zu lange her, daß ich mich auf jemanden eingelassen hatte, zu lange her, daß ich dieses
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