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King of the World

King of the World

Titel: King of the World
Autoren: David Remnick
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eröffnete. Ali stand da, die schwere Fackel vor sich ausgestreckt. Drei Milliarden Menschen am Fernseher konnten sehen, wie er zitterte, teils von der Parkinsonschen Krankheit, teils wegen des großen Augenblicks selbst. Doch er stand ihn durch. »An dem Abend ging Muhammad stundenlang nicht ins Bett«, sagte Lonnie Ali. »Er schwebte auf einer Wolke. Er saß nur in einem Sessel im Hotelzimmer und hielt die Fackel in den Händen. Es war, als wäre er zum vierten Mal Weltmeister geworden.«
    Ali ist ein amerikanischer Mythos, der für viele Menschen vielerlei Bedeutungen erlangt hat: Er wurde zum Symbol des Glaubens, zum Symbol für Selbstgewißheit und Widerstand, zum Symbol von Schönheit, von Können und Mut, zum Symbol von Rassenstolz, von Geist und Liebe. Alis körperlicher Zustand ist nicht zuletzt deswegen schockierend, weil er das vorwegnimmt, was wir alle fürchten, den Alterungsprozeß, die Unvorhersehbarkeit und die Gefahren des Lebens. In Ali erblicken wir die Schwäche selbst eines Mannes, dessen Beruf es war, die furchteinflößendste Gestalt der Welt zu sein. Doch Alis Krankheit ist nichtsNeues mehr, nicht mehr ganz so schockierend, und auch wenn seine Bewegungen ungelenk sind, auch wenn er in der Öffentlichkeit kaum noch spricht, kann er uns dennoch überall, wohin er kommt, in jedem Raum, in jeder Arena, jedem Stadion, in dem er sich befindet, Respekt einflößen. Als Ali aus dem Exil zurückkehrte und wieder Weltmeister wurde, war fast alle Wut, die sich gegen ihn gerichtet hatte, verflogen. Ein Grund dafür war, daß die meisten sahen, wie ehrlich er war, auch wenn sie die Nation of Islam oder seine Gründe, den Kriegsdienst zu verweigern, nicht akzeptieren konnten. Er brachte sie zum Lachen. Und schließlich hatten die Zeiten sich geändert,
die Menschen
hatten sich geändert, einige jedenfalls. Red Smith beispielsweise, dessen Kolumnen zuvor so feindselig Ali gegenüber gewesen waren, war nur einer von vielen Amerikanern, die nach den späten sechziger und den frühen siebziger Jahren die Welt und auch Ali in einem anderen Licht sahen. Nachdem Ali 1974 wieder Weltmeister geworden war, erschien eine Sonderausgabe von DC Comics, in der er gegen Superman antrat und siegte. Ali ist ein lebendes Symbol, so vielschichtig und ungebunden wie viele Symbole, aber er bleibt wichtig.
    »Clay war mein Sklavenname«, sagte er leise zu mir, als der Nachmittag sich hinzog und er zunehmend müde wurde. Nun kam eines seiner ältesten Themen. »Sie hören ›Chruschtschow‹, und Sie wissen, der ist Russe. ›Ching‹, der ist Chinese. ›Goldberg‹ ist Jude. Was ist ›Cassius Clay‹? So klar. So wahr. George Washington, so heißt kein Schwarzer. So klar. So wahr. Der Islam war etwas Mächtiges und Starkes. Das konnte ich berühren und fühlen. Als Jugendlicher hab ich gelernt, daß alle weiß waren. Jesus Christus war weiß. Alle beim letzten Abendmahl, weiß. Aber dann die Muslims, die stellen plötzlich alles in Frage. Und ich glaube, ich hab dabei geholfen. Jetzt sehen Sie einen Werbespot imFernsehen. Drei Kinder – zwei schwarze, ein weißes. Oder umgekehrt. Damals gab’s das nicht. Vieles hat sich verändert. Vieles hat sich verändert. Und ich hab dabei geholfen. Cassius Clay war mein Großvater. Cassius Clay war auch mein Vater. Aber das hab ich geändert. Das hab ich auch geändert.«
    Während wir noch Videos von den Kämpfen gegen Liston und Patterson sahen, fragte ich Ali, wie er gern in Erinnerung bleiben würde. Er gab keine Antwort. Doch vor langer Zeit, als sein Körper ihm noch die freie Rede gestattete, hatte Ali diese Frage schon einmal beantwortet:
    »Ich will Ihnen sagen, wie ich in Erinnerung bleiben möchte: Als Schwarzer, der den Titel im Schwergewicht gewonnen hat, der humorvoll war und jeden gerecht behandelt hat. Als ein Mann, der nie auf die herabgesehen hat, die zu ihm aufgesehen haben, und der so vielen seines Volkes wie nur möglich geholfen hat – finanziell und auch in ihrem Kampf um Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit. Als ein Mann, der sie nicht kompromittiert hat. Als ein Mann, der versucht hat, sein Volk durch den islamischen Glauben zu vereinen, zu dem er gefunden hat, als er den Ehrenwerten Elijah Muhammad hörte. Und wenn das alles zuviel verlangt ist, würde es mir auch genügen, wenn man mich nur als großen Boxchampion, der Prediger und ein Champion seines Volkes wurde, in Erinnerung behält. Und es würde mir nicht mal was ausmachen, wenn die Leute vergessen,
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