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King of the World

King of the World

Titel: King of the World
Autoren: David Remnick
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vor weißen Empfindlichkeiten zeigte, daß er in der Welt der Rassentrennung im Süden und der Heuchelei im Norden den edlen und dankbaren Krieger abgab. Als Sportler hatte er sich aus den rassischen und politischen Umwälzungen, die sich um ihn herum abspielten, herauszuhalten: den Sit-ins der Studenten in Nashville 1960 (dem Jahr, in dem er die Goldmedaille in Rom gewann), den Freedom Rides (Fahrten von Bürgerrechtlern durch die Südstaaten, um, etwa auf Busbahnhöfen, zu überprüfen, ob noch Rassentrennung galt), dem Marsch auf Washington oder den Studentenprotesten in Albany, Georgia, und in Ole Miss (während er die Schwergewichtsleiter emporkletterte). Doch Clay sagte nicht nur etwas zu den Umwälzungen, ersagte es auch auf eine Weise, die jeden, vom weißen Rassisten bis hin zu den Führern der National Association for the Advancement of Colored People ( NAACP ), empörte. Er wechselte die Religion und den Namen, er erklärte sich unabhängig von jeder Schablone und Erwartung. Cassius Clay wurde Muhammad Ali. Heute denkt nahezu jeder Amerikaner mit verschwommener Zuneigung an Ali – paradoxerweise war er ein Krieger, der letztlich die Liebe verkörperte –, doch dieser Wandel setzte erst weit nach Alis Periode der Selbstkreierung Anfang der sechziger Jahre ein, jener Periode, über die das vorliegende Buch berichtet.
    Ali und ich unterhielten uns an jenem Nachmittag über die drei führenden Schwergewichtler jener Zeit – Floyd Patterson, Sonny Liston und Clay selbst – und darüber, wie sie auf geradezu gespenstische Weise die politischen und rassischen Veränderungen repräsentierten, die im Gange waren, während sie gegeneinander um den Titel kämpften. In den frühen sechziger Jahren besetzte Patterson die Rolle des Guten Negers, eines zugänglichen und eigenartig bänglichen Mannes, eines respektvollen Verfechters der Bürgerrechte, der Integration und des christlichen Anstands. Liston, der vor seiner Karriere schon im Gefängnis gesessen hatte, nahm dagegen die Rolle des Bösen Negers an, nachdem er gemerkt hatte, daß man ihm keine andere zugestehen würde. Für die meisten Sportjournalisten war Liston monströs, unerklärbar, ein »Bigger Thomas« (nach einer Figur aus Richard Wrights Roman
Native Son
: ein böser Nigger), ein Caliban, der ihr Begriffsvermögen überstieg. Diese Geschichte beginnt daher mit Patterson und Liston, ihrem Leben und ihren beiden kurzen, dramatischen Kämpfen 1962 und 1963. Beide repräsentierten auf ihre jeweilige Art die Welt, auf die Ali stieß und die er dann überwand. Ali sollte sich von den Stereotypen, denen Patterson verpflichtet war, für unabhängigerklären; ebenso wurde er unabhängig von der Mafia, die das Boxen im allgemeinen und Liston im besonderen jahrelang beherrscht hatte.
    »Ich mußte beweisen, daß man ein neuartiger Schwarzer sein konnte«, sagte Ali zu mir. »Das mußte ich der Welt zeigen.«
    Zuweilen war Ali mit sich selbst beschäftigt, manchmal aber blinzelten seine schweren Lider ein paarmal und blieben schließlich geschlossen, dann schlief er mitten im Gespräch fünf oder zehn Minuten lang. Das hatte er auch schon getan, als er jung war. Jetzt passierte es aber viel häufiger. Sosehr langweilte ihn manchmal die Gegenwart, das Leben, das um ihn herum ablief – die Festessen, die Meisterschaftsspiele, die Besuche beim König von Marokko oder bei den Ratsherren von Chicago. Er denke jetzt unablässig an den Tod, sagte er. »Gutes tun. Krankenhäuser besuchen. Das Jüngste Gericht kommt. Du wachst auf, und das Jüngste Gericht ist da.« Ali betete fünfmal am Tag, in Gedanken immer beim Tod. »Ich denke an das Danach. Ich denke ans Paradies.«
    Der Kampf begann. Cassius Clay, in Schwarz und Weiß, stürmte aus seiner Ecke und begann sofort auf dem Quadrat zu kreisen, zu tanzen, bewegte sich unablässig durch den Ring, vor und zurück, der Kopf zuckte hin und her, als befreite er sich morgens von einem steifen Hals, alles leicht und flüssig – Liston dagegen, ein mächtiger Bulle, dessen Schultern den Zugang zum halben Ring abzusperren schienen, schoß eine linke Gerade ab. Sie verfehlte ihn um einen halben Meter. In diesem Augenblick deutete Clay nicht nur an, was an jenem Abend in Miami geschehen würde, sondern auch, was er im Boxen und im Sport ganz allgemein einführen würde – die Verbindung nämlich von Masse und Geschwindigkeit. Ein massiger Mann brauchte nicht mehrumherzutapsen und zu prügeln, er konnte zuschlagen wie ein
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