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Kindersucher - Kriminalroman

Kindersucher - Kriminalroman

Titel: Kindersucher - Kriminalroman
Autoren: Paul Grossman
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keineswegs zu ordinär waren, um mit ihm zu fahren. Wirklich sehr umsichtig, dachte Kraus und machte dann den Fehler, Vicki anzusehen. Unter ihrem dunklen Pony, das weiße Dinnerjackett mit der Hand umklammernd, wirkte sie wie einer dieser Jungs, die sterben würden, wenn sie einmal Achterbahn fahren durften. Ach, zum Teufel! Machten sie es eben zu einem denkwürdigen Tag, einem für die Geschichtsbücher.Josephine Baker und eine Fahrt in einem SSK und beides in einer Nacht.
    Als Kraus die Beifahrertür öffnete, genügte ein Blick auf sein Spiegelbild in von Hesslers Augenklappe, um ihn das Fürchten zu lehren.
    Der Wagen war ein Zweisitzer. Vicki musste sich zwischen sie quetschen. Als der Doktor den großen, schwarzen Ganghebel einlegte, brummte es, und sie rasten davon. Der Wagen beschrieb mit quietschenden Reifen eine verrückte Kehrtwendung, und sie wurden in die Sitze zurückgepresst. Es war Freitagnacht. Die Friedrichstraße war vollkommen verstopft. Dieser Verrückte aber beschleunigte, als wäre er bei einem Grand-Prix-Finale. Jenseits der S-Bahn-Station schienen die Lichter der Nachtclubs zu einem einzigen zu verschwimmen: Haller-Revue ... Salamander ... Café Imprimator. Werbetafeln fegten über ihren Köpfen vorbei. Aschinger am Bahnhoooo ... Sie rasten so schnell an einer gelben Straßenbahn vorbei, dass Kraus nicht einmal die Nummer der Linie erkennen konnte.
    »Sie haben doch keine Angst, oder?« Dem Doktor schien sein spöttisches Grinsen angeboren zu sein.
    Kraus konnte sich gut vorstellen, dass Leute diese Miene verabscheuten.
    Während er mit einer Hand Vicki und sich selbst mit der anderen an der ledernen Armstütze festhielt, erinnerte er sich daran, wie ihm einmal als Teenager auf einem Schnellboot schlecht geworden war. Das war der Grund gewesen, warum er beim Heer gelandet und unter Stacheldraht durchgekrochen war.
    »Angst?« Belustigung verzerrte Vickis Gesicht. »Au contraire!«
    Sie bogen scharf in die Dorotheenstraße ein und tauchten ins Dunkel.
    »Ich frage nur, weil ich die menschliche Natur erforsche«, verkündete der Doktor, der schreien musste, um die donnernden225 Pferdestärken zu übertönen. »Furcht ist eins der Themen, auf die sich meine Studien hauptsächlich konzentrieren.«
    »Wie faszinierend.« Vicki legte den Kopf in den Nacken und ließ ihre Bobfrisur fliegen. »Nein, wir haben keine Angst. Oder, Liebling?«
    Kraus hätte am liebsten erwidert, dass der Doktor zumindest die Verkehrszeichen beachten könnte.
    »Als Wissenschaftler muss ich natürlich mit einem kontrolliertem Versuchsaufbau arbeiten«, schrie von Hessler, als sie um den Reichstag herumjagten. Die gläserne Kuppel war hell erleuchtet, und die schwarz-rot-goldene Fahne der Republik flatterte stolz darüber. »Aber einige meiner tiefschürfendsten Erkenntnisse habe ich aus rein willkürlichen Beobachtungen gewonnen.« Als sie den grünen Baldachin des Tiergartens erreichten, Berlins größtem Park, musste er wenigstens nicht mehr so laut schreien. Man konnte sogar fast die Sterne am Himmel erkennen. Was romantisch sein könnte, dachte Kraus, wenn der gute Doktor endlich die Klappe halten würde.
    »Meine Experimente konzentrieren sich auf etwas, was ich Entkonditionierung nenne, den Bruch erlernter Verhaltensmuster.«
    Von Hessler liebte ganz offenbar gebannte Zuhörer und stellte sich wohl vor, er stünde in einem Vorlesungssaal, obwohl Vicki aufgehört hatte, Interesse zu heucheln, und Kraus gar nicht erst damit angefangen hatte. Unter seinem Jackett versteckt, kraulte sie stattdessen sein Hosenbein, was ihm heiße Schauer über den Rücken jagte, und warf ihm hin und wieder einen glühenden Blick zu.
    Im beliebtesten Teil von Berlin, rund um die erhabene Kaiser-Wilhelm-Kirche, schien sich die Nacht in den Tag verwandelt zu haben. Alles war in Bewegung. Frauen mit helmartigen Kopfbedeckungen und weiten, wehenden Röcken schlenderten über die Trottoirs. Männer in Zweireihern winkten mitihren Filzhüten, als sie versuchten, ein Taxi zu erwischen. Werbung leuchtete auf Reklametafeln: Crème Mouson, für die Dame von heute; Audi Typ M: für den Herrn von Welt. Wohin man auch blickte: überall moderner Chic. Türen aus rostfreiem Edelstahl. Lange Bogenfenster. Die besten Boutiquen. Die angesagtesten Restaurants. Die größten Kinos der Nation, aufgereiht wie Ballettmädchen: der Gloria-Palast, das Capital, das UFA am Zoo. Alles protzig, glitzernd, hektisch.
    Auf dem Kurfürstendamm, Berlins Broadway,
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