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Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition)
Autoren: Pola Kinski
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meiner Nähe. Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben wirklich glücklich.
    Die Spielzeit beginnt, ich muss zurück nach Hamburg. Er kommt mit mir. Wir bleiben nur einen einzigen Tag, damit ich mich von einem Arzt krankschreiben lassen kann. Dann verstecken wir uns in einem Holzhaus auf einer dänischen Insel. Nach einer Woche muss ich endgültig zurück nach Hamburg. Er kommt in jeder freien Minute aus Berlin zu mir. Doch bald ist uns das zu wenig, wir wollen Tag und Nacht zusammen sein.
    Ich kündige in Hamburg, sage die Angebote bei Claus Peymann in Stuttgart und Jérôme Savary in Paris ab und ziehe zu ihm nach Berlin. Viele Regisseure wollen Filme mit mir drehen, aber ich wähle nur diejenigen aus, zu denen er mitfahren kann. Wir wollen uns nicht trennen, nicht mal für ein paar Tage. Ich weine den Projekten keine Träne nach, im Gegenteil: Kein Film und kein Geld der Welt können mir das geben, was ich jetzt endlich erlebe.
    Das erste unserer drei Kinder wird 1977 geboren. Mein Vater schickt ein Paket mit Luxusbabysachen aus Paris. Er lebt jetzt dort mit Geneviève und seinem kleinen Sohn. Während der Schwangerschaft hat er mich kein einziges Mal nach dem Vater meines Kindes gefragt.
    Gleich nach der Geburt spiele ich die Hauptrolle in Wolfgang Staudtes letztem Kinofilm Zwischengleis . Mein Partner ist Mel Ferrer. Ich drehe in zwei Sprachen sechzehn Stunden am Tag die Geschichte eines 17-jährigen Mädchens, das in der Nachkriegszeit viele Jahre gegen erdrückende Schuldgefühle kämpft und sich als Dreißigjährige von der Brücke stürzt. Die Arbeit an diesem Stoff nimmt mich sehr mit. Ich esse nichts mehr, rauche Kette, entwickle wieder zunehmend Angstphantasien und breche schließlich völlig zusammen. Meinem Freund erzähle ich zum ersten Mal von meinem Trauma. Seiner Liebe und Zuwendung habe ich es zu verdanken, dass ich mich von dem Zusammenbruch relativ rasch wieder erhole.
    Als unsere Tochter ein Jahr alt ist, bekomme ich das Angebot, in der Dreigroschenoper am Théâtre des Bouffes du Nord in Paris zu spielen. Mein Freund kann an dieser Inszenierung mitarbeiten, und so ziehen wir mit einer Freundin, die vom Theater als Kindermädchen bezahlt wird, für ein halbes Jahr in eine Altbauwohnung am Boulevard St. Germain. Unser Stück wird von den Franzosen gefeiert. Die Zeitschrift Paris Match bereitet einen großen Artikel übermich vor. Sie machen eine Fotoserie, ich gebe ein langes Interview. In der Redaktion kann ich das Layout bewundern. Eine Fotostrecke über sechs Seiten, dazwischen Text. Ich bin wahnsinnig stolz. Das erste Foto reicht über zwei Seiten. Alles ist fertig, allerdings wollen sie noch ein letztes Bild von mir und meinem Vater gemeinsam. Mir ist nicht wohl dabei, aber ich willige ein.
    Ich treffe mich mit ihm und der Fotografin im Jardin du Luxembourg. Sie platziert meinen Vater und mich auf einer Parkbank. Er legt den Arm um meine Schulter, zieht den Borsalino ins Gesicht, hängt sich die Zigarette in den Mundwinkel und spielt Vater-Tochter-Innigkeit. Sein Getue kotzt mich an. Im Anschluss kommen er und die Fotografin noch mit in meine Wohnung. Auch dort sollen ein paar Fotos aufgenommen werden. Als er meinen Freund sieht, erstarrt er. Er steht zum ersten Mal einem Mann seiner Tochter gegenüber. Außerdem misst mein Freund knapp zwei Meter.
    Um seine Unsicherheit zu überspielen, unterhält er sich mit der Fotografin in schlechtem Französisch über Telefonanrufbeantworter. Meinen Freund lässt er nicht aus den Augen, bemüht sich aber gleichzeitig, ihn demonstrativ zu ignorieren. Als die letzte Aufnahme endlich gemacht ist, verlässt er gemeinsam mit der Fotografin die Wohnung.
    Diese ruft mich später wutentbrannt an und beschwert sich über meinen Vater. Kaum hatten sich die Türen des Fahrstuhls geschlossen, habe er sie mit beiden Händen am Hintern gepackt. Auch die Redakteurin von Paris Match ist völlig genervt. Ständig würde er in der Redaktion erscheinen, ihnen einen Artikel aus dem Stern unter die Nase halten und verkünden, wie wichtig er sei. Außerdem verlange er, dass sie einen Bericht über ihn statt über mich veröffentlichen. Irgendwann sind die Redakteure so verärgert, dass sie weder mein Porträt noch einen Artikel über ihn drucken.
    In den nächsten Jahren spiele ich Theater in Berlin und übernehme weiter nur dann Filmrollen, wenn mich mein Freund zu den Dreharbeiten begleiten kann. An meinen Vater denke ich selten. Manchmal ruft er mich an, will mich abholen
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