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Kinder Des Nebels

Kinder Des Nebels

Titel: Kinder Des Nebels
Autoren: Brandon Sanderson
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Marschs Seite.
    Marsch ächzte und richtete sich auf. Den einen Arm hielt er sich vor den Magen. »Was ... ist das ...?«
    Vin sah hinüber zu der verschrumpelten Gestalt auf dem Marmorboden. »Das ist er. Der Oberste Herrscher. Er ist tot.«
    Neugierig runzelte Sazed die Stirn und erhob sich. Er trug eine braune Robe und hatte einen einfachen hölzernen Speer dabei. Vin schüttelte den Kopf darüber, dass er mit einer so armseligen Waffe der Kreatur gegenübertreten wollte, die beinahe Marsch und sie umgebracht hätte.
    Natürlich sind wir alle in gewisser Weise genauso armselig gewesen. Nicht der Oberste Herrscher, sondern wir sollten tot sein.
    Ich habe ihm die Armreifen abgerissen. Warum? Warum kann ich das, was er konnte?
    Und warum bin ich anders?
    »Herrin ...«, sagte Sazed langsam. »Ich glaube, er ist nicht tot. Er ... lebt noch.«
    »Was?«, fragte Vin und zog die Stirn kraus. Sie konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Über ihre Fragen würde sie später nachgrübeln. Sazed hatte Recht. Die uralte Gestalt war nicht tot. Mitleiderregend wand sie sich über den Boden und kroch auf das zerbrochene Fenster zu, dorthin, wo ihre Armreifen verschwunden waren.
    Marsch kam taumelnd auf die Beine und schüttelte Sazed ab, der ihm helfen wollte. »Meine Wunden werden rasch verheilen. Kümmere dich um das Mädchen.«
    »Hilf mir auf«, bat Vin.
    »Herrin ...«, meinte Sazed missbilligend.
    »Bitte, Sazed.«
    Seufzend reichte er ihr den hölzernen Speer. »Hier, stützt Euch darauf.« Sie ergriff ihn, und er half ihr auf die Beine.
    Mithilfe des Speeres humpelte sie zusammen mit Marsch und Sazed auf den Obersten Herrscher zu. Die kriechende Kreatur hatte den Rand des Raumes erreicht und schaute durch das zerschmetterte Fenster hinaus auf die Stadt.
    Die Glasscherben knirschten unter Vins Schritten. In der Stadt stießen die Menschen Freudenschreie aus, aber Vin konnte den Grund dafür nicht erkennen.
    »Hör zu«, sagte Sazed. »Höre zu, du, der du unser Gott sein wolltest. Hörst du ihre Freude? Dieser Beifall gilt nicht dir. Dein Volk hat sich nie an dir gefreut. Heute Abend haben sie einen neuen Anführer und einen neuen Stolz gefunden.«
    »Meine ... Obligatoren ...«, flüsterte der Oberste Herrscher.
    »Deine Obligatoren werden dich vergessen«, sagte Marsch. »Dafür werde ich sorgen. Und die anderen Inquisitoren sind tot, gestorben durch meine Hand. Aber die versammelten Prälane können bezeugen, wie du die Macht an das Amt für Inquisition übertragen hast. Ich bin der einzige übrig gebliebene Inquisitor in Luthadel. Jetzt führe
ich
deine Kirche.«
    »Nein ...«, wisperte der Oberste Herrscher.
    Marsch, Vin und Sazed blieben vor dem alten Mann stehen und blickten auf ihn hinunter. Im Schein der Morgensonne sah Vin unten in der Stadt die Menschen vor einem großen Podest stehen; sie erhoben ihre Waffen zum Zeichen der Ehrerbietung.
    Der Oberste Herrscher schaute ebenfalls hinunter auf die Menge, und endlich schien er seine Niederlage zu begreifen. Er hob den Blick zu den Gegnern, die ihn besiegt hatten.
    »Ich verstehe nicht«, keuchte er. »Ihr wisst nicht, was ich für die Menschheit tue. Ich war euer Gott, auch wenn ihr es nicht verstanden habt. Indem ihr mich tötet, verdammt ihr euch selbst ...«
    Vin warf einen raschen Blick auf Marsch und Sazed. Langsam nickten die beiden. Der Oberste Herrscher hustete und schien weiter zu altern.
    Vin stützte sich auf Sazed und biss die Zähne zusammen, weil der Schmerz in ihrem gebrochenen Bein sie zu überwältigen drohte. »Ich überbringe dir eine Nachricht von einem gemeinsamen Freund«, sagte sie leise. »Er will dich wissen lassen, dass er nicht tot ist. Er kann nicht getötet werden.
    Er ist die Hoffnung.«
    Dann hob sie den Speer und rammte ihn dem Obersten Herrscher mitten ins Herz.

Seltsam: manchmal verspüre ich einen großen Frieden in mir. Man sollte doch glauben, dass meine Seele nach allem, was ich gesehen und durchlitten habe, eine Ansammlung von Spannung, Verwirrung und Melancholie sei. Oft ist sie das auch. Doch dann ist da noch dieser Friede.
    Manchmal fühle ich ihn, wie jetzt, da ich über die froststarrenden Klippen und Glasberge in der Stille des Morgens schaue und den Sonnenaufgang beobachte, der so majestätisch ist, dass ihm niemals irgendetwas gleichkommen wird.
    Wenn es wirklich Prophezeiungen und einen größten Helden aller Zeiten gibt, dann flüstert mir eine Stimme in meinem Kopf zu, dass etwas meinen Weg lenkt. Etwas
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