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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust
Autoren: Philip K. Dick
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unter den Folgen dessen leiden mußten – und es konnte noch immer eines Tages dazu kommen –, daß dieser Mann soviel überhebliche Anmaßung besessen hatte zu glauben, er könne keine Fehler begehen.
    Doch es mußte mehr damit auf sich haben. Schon damals hatte Stockstill bei diesem Mann eine Eindruck von Entartung gehabt; er hatte gesehen, wie man ihn im Fernsehen interviewte, ihn sprechen gehört, seine fanatischen antikom munistischen Traktate gelesen; und war zu der vorläufigen Schlußfolgerung gelangt, daß in Bluthgeld ein gründlich eingefleischter Haß gegen alle Menschen stak, tief und stark genug, um ihm – zumindest auf unbewußter Ebene – durchaus den Wunsch nach Fehlern einzugeben, die das Leben von Millionen gefährdeten.
    Kein Wunder, daß FBI-Chef Nixon sich so nachdrücklich gegen »militante Amateur-Antikommunisten in führenden Wissenschaftlerkreisen« gewandt hatte. Nixon war schon lange vor dem tragischen Irrtum des Jahres 1972 über derlei Erscheinungen besorgt gewesen. Die Symptome von Paranoia, nicht nur mit Wahnvorstellungen bezüglich der Zuständigkeit, sondern auch in bezug auf die eigene Größe, mußten bereits zu der Zeit manifest geworden sein; Nixon, ein guter Menschenkenner, hatte sie gemerkt, und viele andere ebenso.
    Und offensichtlich hatten sie recht gehabt.
    »Ich bin nach Amerika gekommen«, sagte Mr. Tree, »Um mich den Nachstellungen der kommunistischen Agenten zu entziehen, die mich ermorden wollten. Selbst damals waren sie schon hinter mir her ... und die Nazis natürlich genauso. Alle hatten sie's auf mich abgesehen.«
    »Verstehe«, sagte Stockstill und schrieb etwas auf.
    »Sie sind noch immer hinter mir her, aber letzten Endes werden sie an mir scheitern«, sagte Mr. Tree mit rauher Stimme und steckte sich eine neue Zigarette an. »Denn auf meiner Seite steht Gott. Er sieht meine Drangsal, und Er hat oft zu mir gesprochen und mir die Weisheit gegeben, deren es bedurfte, um meinen Verfolgern zu entgehen. Ich arbeite gegenwärtig draußen in Livermore an einem neuen Projekt, und dessen Resultate werden, was unseren Feind betrifft, einen endgültigen Schlußpunkt setzen.«
    Unseren F eind, dachte Stockstill. Wer ist unser Feind ... sind das nicht Sie, Mr. Tree? Sind das nicht Sie, der Sie hier sitzen und Ihre paranoiden Schnapsideen herunterplappern? Wie sind Sie bloß je zu der hohen Position gekommen, die Sie bekleiden dürfen? Wer ist dafür verantwortlich, daß Sie soviel Macht über das Leben anderer Menschen haben – und diese Macht sogar nach dem Fiasko des Jahres neunzehnhundertzweiundsiebzig behalten konnten? Sie und die Verantwortlichen – in solchen Leuten muß man jedenfalls ganz bestimmt unseren Gegner sehen.
    Alle unsere Befürchtungen im Hinblick auf Sie erweisen sich nun als berechtigt, Sie sind geisteskrank, Ihre Anwesenheit hier ist dafür schon Beweis genug. Oder nicht? Nein, nicht, gestand sich Stockstill ein, und vielleicht sollte ich mich als ungeeignet zur Übernahme Ihres Falls einschätzen; vielleicht verstößt es gegen jede Ethik, wenn ich mich mit Ihnen befasse. In Anbetracht der Gefühle, die ich Ihnen entgegenbringe ... was Sie angeht, kann ich keine distanzierte, desinteressierte Haltung einnehmen, kann ich nicht rein wissenschaftlich denken, und infolge dessen könnten meine Analyse, meine Diagnose fehlerhaft ausfallen.
    »Weshalb sehen Sie mich so an?« wollte Mr. Tree wissen.
    »Verzeihung«, nuschelte Stockstill.
    »Finden Sie meine Verunstaltung widerwärtig?« hakte Mr. Tree nach.
    »Nein-nein«, entgegnete Stockstill. »Darum geht's nicht.«
    »Dann etwa meine Gedanken? Sie haben meine Gedanken gelesen und wünschen sich aufgrund ihrer widerlichen Natur, ich hätte sie nicht aufgesucht, nicht wahr?« Mr. Tree stand auf und entfernte sich schroff zur Tür. »Guten Tag.«
    »Warten Sie.« Stockstill eilte ihm hinterdrein. »Lassen Sie uns zumindest mal die biografischen Daten zusammentragen, wir haben ja noch gar nicht richtig angefangen.«
    Mr. Tree musterte ihn. »Ich habe Vertrauen zu Bonny Keller«, sagte er schließlich. »Ich kenne ihre politischen Auffassungen ... sie gehört nicht zu der internationalen kommunistischen Verschwörung, die darauf abzielt, mich bei der erstbesten Gelegenheit umzubringen.« Er nahm wieder Platz und wirkte nunmehr gefaßter. Dennoch verriet sein Gebaren Wachsamkeit. In der Gegenwart des Psychiaters würde er sich nicht einen einzigen Augenblick der Entkrampfung gönnen, soviel war Stockstill
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