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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust
Autoren: Philip K. Dick
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und zu einer Katastrophe gewordenen Atomtests, und natürlich hat es in Wirklichkeit keinen derartigen Test und keine solche Katastrophe gegeben. Denn selbstverständlich gab es ja auch nie eine Person wie Dr. Bluthgeld. Das Buch ist reine dichterische Erfindung. Und doch ist es das in gewisser Beziehung nicht. Der Landkreis West Marin, in dem ein großer Teil der Handlung spielt, ist eine Gegend, in der ich mich gut auskenne. Ich habe dort, als ich den Roman schrieb, selbst gewohnt. Viele der landschaftlichen Eigenheiten, die ich in dem Roman beschreibe, sind der Realität entnommen. Infolgedessen ist mit dem Dichterischen vielerlei verflochten, das mit dem Wirklichen übereinstimmt. Wie einige der Charaktere im Buch habe ich selbst in West Marin Pilze gesammelt, ich habe dort die gleichen Arten wie sie entdeckt (und die gleichen Arten wie sie gemieden). West Marin ist eine der schönsten Gegenden der Vereinigten Staaten, und im Sierra Club spricht man von ihr als der »Insel in der Zeit«. Als ich gegen Ende der 50er und anfangs der 60er Jahre dort gelebt habe, war sie vom ganzen Rest Kaliforniens abgeson dert, und deshalb hielt ich sie für den natürlichen Standort eines Mikrokosmos einer Nachkriegsgesellschaft. In der Tat war West Marin ohnehin schon eine kleine Welt für sich. Wenn ich heute Dr. Bloodmoney zur Hand nehme, stelle ich zu meiner Freude fest, daß ich mit Worten viel von jener kleinen, so von mir geliebten Welt eingefangen habe – einer kleinen Welt, von der ich nun zeitlich und räumlich getrennt bin.
    Mein bevorzugter Charakter in dem Roman ist der TVVerkäufer Stuart McConchie, ein Schwarzer. 1964, als ich Dr. Bloodmoney geschrieben habe, war es gewagt, in einem Buch einen Farbigen als Hauptcharakter zu haben. Mein Gott, wieviel hat sich in den Jahren seither verändert! Aber die Wandlungen waren überaus positiv, und wir können stolz auf sie sein. In meinem ersten Roman – Solar Lottery – war ein Schwarzer Kapitän eines Raumschiffes – wahrhaftig gewagt für einen
    1955 erschienenen Roman. Aus meiner Sicht steht Stuart im Mittelpunkt des Romans, ihn lernen wir zuerst kennen, und es geschieht durch seine Augen, daß wir zum erstenmal Dr. Bluthgeld sehen. Stuarts Reaktion ist simpel; er sieht einen Wahnsinnigen, und damit hat's sich. Bonny Keller dagegen, die Dr. Bluthgeld viel näher kennt, hat von ihm ein differenzierteres Bild. Offen gesagt, ich neige dazu, Bluthgeld so zu sehen wie Stuart McConchie ihn sieht. Sozusagen bin ich Stuart McConchie, und ich habe einmal in einem Laden in Berkeleys Shattuck Avenue Fernsehapparate verkauft. Genau wie Stuart habe ich am frühen Morgen vor dem Geschäft mit einem Besen den Gehweg gekehrt und dabei den hübschen Mädchen nachgeschaut. Folglich muß ich mich zu einem womöglich übertrieben einfachen Bild von Dr. Bluthgeld bekennen: ich verabscheue ihn, und ebenso verabscheue ich alles, was er vertritt. Er ist das Fremde, er ist der Feind. Ich kann den Geist eines solchen Menschen nicht ergründen; ich kann nicht ermitteln, auf was all sein Haß beruht. Es sind nicht die Russen, die ich fürchte; es sind die Dr. Bluthgelds in unserer eigenen Gesellschaft, vor denen ich mich entsetze. Ich bin sicher, daß sie gemäß jenem Umfang, in dem sie mich kennen – oder kennen würden –, mich so hassen, wie ich sie hasse, und sie mit mir genau das machen würden, was ich mit ihnen anstellen möchte.
    »Und dort, während Stuart ihr noch nachschaute, auf seinen Besen gestützt, kam auch schon der erste Gestörte des Tages schuldbewußt angeschlichen, um unauffällig in die Praxis des Psychiaters zu huschen.«
    Das ist unser erster Anblick Dr. Bluthgelds, gesehen durch die Augen eines Mannes, der sich auf einen Besen stützt. Ich halte mich an den Mann mit dem Besen, vom Anfang des Romans bis ganz zum Ende. Stuart McConchie ist ein scharfsinniger Mensch, und sobald er Dr. Bluthgeld sieht, erlebt er einen Augenblick spontaner Erkenntnis, die Bonny Keller trotz ihres jahrelangen engen Umgangs mit Dr. Bluthgeld vollständig fehlt. Ich gebe zu, ich befleißige mich des Vorurteils. Ich bin der Überzeugung, daß man dem ersten Eindruck des Mannes, der den Besen hält, trauen kann. Dr. Bluthgeld ist krank, und zwar krank auf eine Art und Weise, die für uns andere eine Gefahr ist. Und zahlreiche Übel in unserer heutigen Welt gehen von solchen Menschen aus, weil es nun einmal solche Menschen gibt.
    Ich mag mich also, als ich 1964 Dr. Bloodmoney schrieb, in
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