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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust
Autoren: Philip K. Dick
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Beerbohm ...?«
    »Wissen Sie, das ist nicht mein richtiger Name«, antwortete Mr. Tree mit starkem Akzent. Seine Stimme klang nach Gereiztheit und Ungeduld. »Er ist mir bloß so in den Sinn gekommen, als ich mit dem Mädchen in Ihrem Vorzimmer gesprochen habe.« Dr. Stockstill musterte seinen Patienten mit einem Blick stummer Fragestellung. »Ich bin weltbekannt«, sagte Mr. Tree. »Es überrascht mich, daß Sie mich nicht erkennen. Sie müssen so was wie ein Einsiedler oder was Schlimmeres sein.« Mit einer zittrigen Hand strich er sich durch das lange, schwarze Haar. »Es gibt Tausende, ja Millionen von Menschen auf der Welt, die mich hassen und mich gern abmurksen würden. Daher muß ich natürlich Maßnahmen zu meinem Schutz ergreifen. Ich mußte Ihnen ganz einfach einen falschen Namen nennen.« Er räusperte sich und zog in rascher Folge an seiner Zigarette, die er wie ein Europäer hielt: mit dem angezündeten Ende in der Handfläche, so daß die Glut fast die Haut versengte.
    O mein Gott, dachte Dr. Stockstill. Ich erkenne diesen Mann. Das ist Bruno Bluthgeld, der Physiker. Und er hat recht, eine Menge Leute, sowohl hier wie auch im Osten, würden ihn wegen seiner Fehlberechnung damals im Jahre neunzehnhun dertzweiundsiebzig gern in die Finger kriegen. Wegen des schrecklichen Fallouts nach dem Stratosphären-Atomtest, der – angeblich – keinen Schaden hätte anrichten können – wie Bluthgeld mit seinen Berechnungen vorher bewiesen hatte.
    »Ist es Ihr Wunsch, daß ich weiß, wer Sie sind?« forschte Dr. Stockstill nach. »Oder sollen wir einfachheitshalber bei ›Mr. Tree‹ bleiben? Das liegt ganz bei Ihnen, mir ist es so oder so recht.«
    »Lassen Sie uns einfach erst einmal weitermachen«, antwortete Mr. Tree schroff.
    »Einverstanden.« Dr. Stockstill setzte sich bequemer hin, kritzelte mit seinem Stift etwas auf den Bogen Papier an seinem Klemmbrett. »Also legen Sie los.«
    »Hat das Unvermögen, einen gewöhnlichen Bus – wissen Sie, irgendeinen Bus mit etwa einem Dutzend fremder Personen drin – zu besteigen, etwas zu bedeuten?« Mr. Tree beobachtete ihn mit eindringlichem Blick.
    »Kann sein«, sagte Stockstill.
    »Ich habe das Gefühl, daß man mich anstarrt.«
    »Aus irgendeinem besonderen Grund?«
    »Wegen meines entstellten Gesichts«, sagte Mr. Tree.
    Es gelang Dr. Stockstill, ohne auffällige Bewegungen den Blick zu heben und seinen Patienten zu mustern. Er sah einen Mann mittleren Alters von stämmiger Statur sowie mit schwarzem Haar und düsteren Bartstoppeln auf der außergewöhnlichen bleichen Haut. Die Augen des Mannes besaßen dunkle Ringe, die von Erschöpfung und Anspannung stammten, und der Ausdruck dieser Augen bezeugte reine Verzweiflung. Die Haut des Physikers war schlecht, ein Besuch beim Frisör hätte ihm gutgetan, und seine ganzen Gesichtszüge wiesen Spuren seiner inneren Not auf ... aber eine »Entstellung« war keineswegs vorhanden. Abgesehen von dem Stress, den es widerspiegelte, war dies Gesicht vollauf normal; unter einer größeren Anzahl von Leuten hätte es keinerlei erhöhte Aufmerksamkeit erregt.
    »Sehen Sie die Flecken?« Mr. Trees Stimme klang heiser. Er zeigte auf seine Wangen, sein Kinn. »Die scheußlichen Male,
    die mich von jedem anderen unterscheiden?«
    »Nein«, erwiderte Stockstill, indem er das Risiko einging, einem Patienten direkt zu widersprechen.
    »Sie sind aber da«, sagte Mr. Tree. »Natürlich befinden sie sich an der Innenseite der Haut. Aber die Leute bemerken sie trotzdem und starren mich deswegen an. Ich kann mit keinem Bus fahren, ich kann in kein Restaurant und nicht ins Theater gehen. Ich kann nicht in San Franzisko die Oper oder das Ballett besuchen, nicht ins Konzert des Sinfonieorchesters gehen, nicht mal in einen Nachtklub, um mir 'ne Schnulzensängerin anzuhören. Selbst wenn ich hineingelange, muß ich wegen des Gaffens fast unverzüglich wieder abhauen. Und wegen der Bemerkungen.«
    »Was sind das für Bemerkungen?« Mr. Tree schwieg. »Wie Sie selber erklärt haben«, sagte Stockstill, »sind Sie ein weltbekannter Mann – ist es dann nicht völlig natürlich, daß die Leute zu flüstern anfangen, wenn eine weltbekannte Persönlichkeit daherkommt und sich mitten unter sie setzt? Ist das nicht stets so gewesen? Und anscheinend, wenn ich Ihre Andeutungen richtig verstehe, gilt Ihre Tätigkeit als kontrovers ... unter solchen Umständen muß man zwangsläufig da und dort auf Ablehnung stoßen, abfällige Äußerungen zu hören
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