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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust
Autoren: Philip K. Dick
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Und dort, während Stuart ihr noch nachschaute, auf seinen Besen gestützt, kam auch schon der erste Gestörte des Tages schuldbewußt angeschlichen, um unauffällig in die Praxis des Psychiaters zu huschen.
    Die Welt ist voller Gestörter, dachte sich Stuart, während er das Geschehen beobachtete. Psychiater machen schweinisch Kies. Müßte ich zu einem Psychiater, ich würde durch die Hintertür kommen und gehen. Mich dürfte keiner sehen und belächeln. Vielleicht machen einige es wirklich so, dachte er. Vielleicht hat Dr. Stockstill einen Hintereingang. Für die ganz Gestörten, oder (dahingehend berichtigte er seinen Gedanken) für solche, die aus ihrem Besuch beim Psychiater keinen öffentlichen Auftritt machen möchten; ich meine die Leute, die schlichtweg ein Problem haben, die nicht beknackt sind, sondern sich einfach wegen der Strafaktion gegen Kuba sorgen, die nur ... beunruhigt sind.
    Er selbst war nämlich beunruhigt, weil nach wie vor die reale Möglichkeit bestand, daß man ihn noch einzog und in den Kuba-Krieg schickte, der sich schon wieder in den Bergen festgerannt hatte, trotz der neuartigen kleinen Sprengbomben, die die schmierigen roten Kanaken hinwegfegte, egal wie gut sie sich eingebuddelt haben mochten. Er persönlich machte dem Präsidenten keinen Vorwurf – schließlich war es nicht die Schuld des Präsidenten, daß die Chinesen sich dazu entschlossen hatten, ihren Bündnisverpflichtungen nachzukommen. Bloß verhielt es sich so, daß aus dem Krieg gegen die schmierigen roten Kanaken kaum einer ohne Virusinfektion des Kno chenbaus heimkehrte. Ein dreißigjähriger Veteran konnte mit dem Aussehen einer Mumie heimkommen, die man für ein Jahrhundert zum Trocknen in die Räucherkammer gehängt hatte ... und Stuart McConchie vermochte sich schwerlich vorzustellen, daß er nach so was noch dazu imstande wäre, Stereo-Fernseher zu verkaufen, seine Tätigkeit im Einzelhandel wiederaufzunehmen.
    »Morgen, Stu«, schreckte ihn die Stimme eines Mädchens auf. Es handelte sich um die kleine, schwarzäugige Verkäuferin von Edys »Bonbonniere«. »So früh am Tag träumst du schon vor dich hin?« Das Mädchen lächelte ihm zu, als es auf dem Bürgersteig an ihm vorüberging.
    »Ach was«, sagte er und begann mit Nachdruck wieder das Trottoire zu fegen.
    Auf der anderen Seite der Straße blieb Dr. Stockstills im Heranschleichen befindlicher erster Patient, ein Mann irgendwie ganz in Schwarz, nämlich schwarzen Haaren und schwarzen Augen, gehüllt in einen weiten Mantel vom Schwarz der schwärzesten Nacht, aber bleicher Haut, einen Moment lang stehen, zündete sich eine Zigarette an und blickte sich um. Stuart sah das eingesunkene Gesicht des Mannes, die Augen mit ihrem durchdringenden Blick und den Mund, vor allem den Mund. Obwohl er verpreßt wirkte, erregte das Fleisch den Eindruck von Erschlafftheit, als hätten Verpreßtheit und Verspannung längst Kiefer und Zähne weggemahlen, wogegen die Verkrampftheit des von Unglück gezeichneten Gesichts geblieben war; Stuart schaute fort.
    Ist das so? fragte er sich. Das Verrücktsein? Auf so eine Art und Weise von Zersetzung befallen, wie verzehrt von ... er wußte nicht, von was. Von Zeit oder womöglich Wasser; irgend etwas, das langsam seine Wirkung tat, dessen Wirkung jedoch nie aufhörte. Er hatte, solange er die Patienten des Psychiaters schon beim Kommen und Gehen beobachtete, bereits mancherlei Zustände von Heruntergekommenheit gesehen, aber noch keinen so schlimmen, so fortgeschrittenen Fall.
    Drinnen im TV modern läutete das Telefon, und Stuart machte auf dem Absatz kehrt und eilte hinein. Als er seinen Blick das nächste Mal der Straße widmete, war der Mann in Schwarz verschwunden, und der Tag gewann wieder an Helligkeit, Verheißung und Duft nach Schönheit. Stuart schauderte leicht zusammen und packte von neuem den Besen.
    Ich kenne den Mann, sagte er sich. Ich habe einmal ein Bild von ihm gesehen, oder er ist irgendwann hier im Laden gewesen. Entweder ist er ein Kunde – ein alter Kunde, eventuell sogar ein naher Bekannter Fergessons –, oder er ist eine bedeutende Persönlichkeit.
    Nachdenklich fegte er weiter den Gehweg.
    »Tasse Kaffee?« erkundigte sich Dr. Stockstill bei seinem neuen Patienten. »Oder Tee? Oder 'ne Cola?« Er betrachtete den kleinen Zettel, den Miss Purcell ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte. »Mr. Tree«, sagte er laut. »Sind Sie irgendwie verwandt mit dieser berühmten englischen Literaten-Familie? Iris Tree, Max
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