Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
Bauwerks ohne Fenster im Schatten der Stadtmauer aus dem sechzehnten Jahrhundert, weigerte sich hartnäckig zuzugeben, daß es überhaupt Babys mit AIDS gab. Er sprach uns das Recht ab, sein Waisenhaus zu betreten. Einmal bestritt er sogar, trotz der Inschrift an der Tür seines Büros und des Schildes auf seinem Schreibtisch, daß er der Direktor des staatlichen Waisenhauses Strada Cetatii 319 war.
    Fortuna zeigte ihm unsere Reisepapiere und Vollmachten, die mit einer persönlichen Bitte um Zusammenarbeit von Roman, dem Premierminister der Übergangsregierung, Präsident Iliescu und Vizepräsident Mazilu unterschrieben waren.
    Der Direktor schnaubte, zog an seiner kurzen Zigarette, schüttelte den Kopf und sagte etwas in verächtlichem Ton. »Ich bekomme meine Befehle vom Gesundheitsministerium«, übersetzte Radu Fortuna.
    Es dauerte fast eine Stunde, bis wir eine Verbindung mit der Hauptstadt bekamen, aber Fortuna wurde schließlich zum Premierminister durchgestellt, der den Gesundheitsminister anrief, der seinerseits versprach, sofort im staatlichen Waisenhaus Strada Cetatii 319 anzurufen. Etwas mehr als zwei Stunden später kam der Anruf durch, der Direktor fauchte Fortuna etwas zu, warf seine Zigarettenkippe auf die schmutzigen Fliesen, wo es vor Kippen geradezu wimmelte, herrschte einen Pfleger an und reichte Fortuna einen riesigen Schlüsselring.
    Die AIDS-Station lag hinter vier verschlossenen Türen. Es waren keine Schwestern dort, keine Ärzte ... überhaupt keine Erwachsenen. Auch keine Kinderbetten; die Säuglinge und Kleinkinder saßen auf dem Fliesenboden oder buhlten um Plätze auf einer des halben Dutzends nackter und exkrementverschmierter Matratzen, die man an der gegenüberliegenden Wand hingeworfen hatte. Sie waren nackt, und man hatte ihnen die Köpfe rasiert.
    Der fensterlose Raum wurde von einigen kahlen Vierzig-Watt-Birnen erhellt, die acht bis zehn Meter auseinander hingen. Einige Kinder hatten sich um die trübe beleuchteten Stellen versammelt und sahen mit verquollenen Augen zu den Glühbirnen hinauf wie zur Sonne, aber die meisten lagen in den dunklen Schatten. Ältere Kinder krochen auf allen vieren davon, um dem Licht zu entfliehen, als wir die Stahltüren aufmachten.
    Es war ersichtlich, daß die Böden alle paar Tage mit dem Schlauch abgespritzt wurden - die rissigen Fliesen wiesen Wasserspuren und Rinnen auf -, aber es war gleichermaßen deutlich, daß sonst keinerlei hygienische Anstrengungen unternommen wurden. Donna Wexler, Dr. Paxley und Mr. Berry drehten sich um und flüchteten vor dem Gestank. Dr. Aimslea fluchte und schlug mit der Faust auf die Steinmauer. Pater O'Rourke sah erst fassungslos hin, während sein irisches Gesicht wutfleckig wurde, dann schritt er langsam von Kind zu Kind, strich ihnen über den Kopf, flüsterte leise in einer Sprache zu ihnen, die sie nicht verstanden, und hob sie hoch. Ich sah zu und hatte den unerschütterlichen Eindruck, daß die meisten dieser Kinder noch nie auf den Armen gehalten, möglicherweise noch nie berührt worden waren,
    Radu Fortuna folgte uns in den Saal. Er lächelte nicht. »Genosse Ceauşescu hat uns gesagt, daß AIDS eine kapitalistische Krankheit ist«, flüsterte er. »In Rumänien gibt es offiziell keine Fälle von AIDS. Keine.«
    »Mein Gott, mein Gott«, murmelte Dr. Aimslea, der von Kind zu Kind ging. »Die meisten hier sind im fortgeschrittenen Stadium AIDS-bedingter Komplexe. Und leiden an Unterernährung und Vitaminmangel.« Als er aufsah, glitzerten Tränen hinter seiner Brille. »Wie lange sind sie schon hier?«
    Fortuna zuckte die Achseln. »Die meisten wahrscheinlich, seit sie kleine Babys waren. Eltern bringen sie her. Babys verlassen diesen Raum niemals, darum können so wenige laufen. Niemand hält sie hoch, wenn sie es versuchen.«
    Dr. Aimslea stieß eine Reihe Flüche aus, die in der kalten Luft zu rauchen schienen. Fortuna nickte.
    »Aber hat niemand diese ... diese ... Tragödie dokumentiert?« fragte Dr. Aimslea mit erstickter Stimme.
    Jetzt lächelte Fortuna. »O ja, ja. Doktor Patrascu vom Stefan-S.-Nicolau-Institut für Virologie, er sagt, es ist vor drei, vielleicht vier Jahren passiert. Das erste Kind, das er testet, war infiziert. Ich glaube, sechs der nächsten vierzehn waren auch an AIDS erkrankt. Alle Städte, alle staatlichen Heime, er hat viele, viele kranke Kinder gefunden.«
    Dr. Aimslea, der einem komatösen Kind mit der Stablampe in die Pupillen geleuchtet hatte, erhob sich. Aimslea packte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher