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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht
Autoren: Dan Simmons
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Fortuna am Mantel, und ich war einen Augenblick überzeugt, daß er dem kleinen Führer ins Gesicht schlagen würde. »Um Himmels willen, Mann, hat er denn niemand darüber informiert?«
    Fortuna sah den Arzt gleichgültig an. »O doch. Doktor Patrascu informiert das Gesundheitsministerium. Sie sagen ihm, er soll sofort aufhören. Sie verbieten AIDS-Seminar, das der Doktor plant ... dann verbrennen sie seine Aufzeichnungen und ... wie sagt man? Kleine Führer für Versammlung ... Programme. Sie beschlagnahmen gedruckte Programme und verbrennen sie.«
    Pater O'Rourke legte ein Kind wieder hin. Die Zweijährige streckte dem Priester die dünnen Ärmchen entgegen und gab vage flehende Laute von sich - eine Bitte, wieder hochgehoben zu werden. Er hob sie hoch und drückte ihren kahlen und schorfigen Kopf fest an seine Wange. »Der Teufel soll sie holen«, sagte er in einem Tonfall, als spräche er den Segen. »Der Teufel soll das Ministerium holen. Der Teufel soll dieses Arschloch da unten holen. Der Teufel soll Ceauşescu holen. Hoffentlich schmoren sie für alle Zeiten in der Hölle.«
    Dr. Aimslea hatte bei einem Säugling gekauert, der nur aus Rippen und aufgeblähtem Bauch zu bestehen schien. »Dieses Kind ist tot.« Er drehte sich wieder zu Fortuna um. »Wie konnte das nur geschehen? Es kann unmöglich so viele Fälle von AIDS in der hiesigen Bevölkerung geben, oder? Oder sind dies Kinder von Drogensüchtigen?«
    Ich konnte die unausgesprochene Frage in den Augen des Arztes sehen: In einer Nation, wo die Durchschnittsfamilie nicht genügend zu essen kaufen konnte und der Besitz von Narkotika mit der Todesstrafe geahndet werden konnte, wie sollte es da so viele Kinder von Drogenabhängigen geben?
    »Kommen Sie«, sagte Fortuna und führte den Arzt und mich aus dieser Station des Todes. Pater O'Rourke blieb und hob und streichelte die Kinder eines nach dem anderen.
    Ein Stockwerk tiefer, in der ›gesunden Station‹, die sich lediglich in der Größe vom Waisenhaus in Sebeş unterschied - tausend Kinder oder mehr mußten in dem endlosen Meer von Stahlkrippen liegen -, schritten gleichgültige Schwestern von Kind zu Kind, gaben ihnen Glasflaschen, in denen sich Milchsurrogat zu befinden schien, und wenn die Kinder lautstark saugten, verpaßten sie ihnen eine Injektion mit der Spritze. Danach wischten die Schwestern ihre Spritzen an Lappen ab, die sie am Gürtel trugen, tauchten sie in eine große Phiole auf dem Tablett und gaben dem nächsten Kind seine Injektion.
    »Mutter Gottes«, flüsterte Dr. Aimslea. »Haben Sie keine Einwegnadeln?«
    Fortuna machte eine Geste mit den Händen. »Ein kapitalistischer Luxus.«
    Aimsleas Gesicht war so rot, daß ich dachte, Äderchen würden platzen. »Und was ist mit einem Autoklaven?«
    Fortuna zuckte die Achseln und fragte die Schwester in unserer Nähe etwas. Diese schnappte eine Antwort und fuhr mit ihren Injektionen fort. »Sie sagt, der Autoklav zum Sterilisieren ist kaputt. Wurde kaputtgemacht. Zur Reparatur ins Gesundheitsministerium geschickt«, übersetzte Fortuna.
    »Wie lange?« keifte Aimslea.
    »Ist vor vier Jahren kaputtgegangen«, sagte Fortuna, nachdem er der geschäftigen Frau die Frage zugerufen hatte. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich zum Antworten umzudrehen. »Sie sagt, vier Jahre, bevor er letztes Jahr zum Ministerium zur Reparatur geschickt wurde.«
    Dr. Aimslea ging näher zu einem sechs- oder siebenjährigen Kind, das im Bett lag und an seinem Fläschchen saugte. Der Inhalt sah aus wie graues Wasser. »Und was sie da verabreichen, sind Vitaminspritzen?«
    »O nein«, sagte Fortuna. »Blut.«
    Dr. Aimslea erstarrte, dann drehte er sich langsam um. »Blut?«
    »Ja, ja. Erwachsenenblut. Macht kleine Babys kräftig. Mit Zustimmung des Gesundheitsministeriums ... sie sagen, ist sehr ... wie man sagt ... fortschrittliche Medizin.«
    Aimslea ging einen Schritt auf die Schwester zu, dann einen Schritt auf Fortuna, dann wirbelte er zu mir herum, als würde er die beiden anderen umbringen, wenn er ihnen zu nahe käme. »Erwachsenenblut, Trent. Jesus Christus. Das war eine Theorie, die mit Gaslicht und Gamaschen aus der Mode gekommen ist. Mein Gott, denen ist überhaupt nicht bewußt ...« Plötzlich drehte er sich wieder zu unserem Führer um. »Fortuna, woher bekommen sie dieses ... Erwachsenenblut?«
    »Wird gespendet ... nein, falsches Wort. Nicht gespendet, gekauft. Leute in Großstädten, die überhaupt kein Geld haben, die verkaufen Blut
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