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Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Titel: Kim Novak badete nie im See von Genezareth
Autoren: Håkan Nesser
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konnte, was er sagen wollte. Im Frühling wurde die Göteborgsche gefeuert, Benny fing wieder an zu fluchen, und zu den Sommerferien war der alte Zustand wiederhergestellt.
    An diesem Maiabend, als mein Vater gesagt hatte, dass es ein schwerer Sommer werden würde, gingen wir raus und setzten uns in die Zementröhre, Benny und ich. Jedenfalls für den Anfang. Es war wie immer. Die Zementröhre war eine Art
    Ausgangspunkt für das, was uns im Laufe des Abends noch erwarten würde. Sie lag in einem ausgetrockneten Graben, fünfzig Meter in den Wald hinein, und Gott mag wissen, wie sie dahin gekommen war. Sie hatte einen Durchmesser von ungefähr eineinhalb Metern, war genauso lang, und da sie auf die Seite gekippt war, war sie ein prima Versteck, wenn man in Ruhe und Frieden irgendwo sitzen wollte. Oder wenn man Schutz vor dem Regen haben wollte. Oder wenn man nur ein bisschen überlegen und heimlich einzelne John Silver rauchen wollte, die ein paar Gören gezwungenermaßen für uns in Karlessons Kiosk gekauft hatten. Oder die wir notfalls auch selbst gekauft hatten.
    An diesem Abend hatten wir noch ein paar, in einer Dose unter einer Wurzel ganz in der Nähe vergraben. Benny grub sie aus. Wir rauchten andächtig, wie immer. Dann diskutierten wir, was am besten klang. Ziggi oder Lulle. Und wie man die Zigarette halten sollte. Daumen-Zeigefinger oder ZeigefingerMittelfinger. Auch an dem Tag kamen wir zu keiner endgültigen Entscheidung.
    Dann fragte Benny nach meiner Mutter.
    »Deine Mutter«, sagte er. »Oh Scheiße, wird sie...«
    Ich nickte. »Denke schon«, sagte ich. »Vater hat es gesagt. Die Ärzte haben es gesagt.«
    Benny kramte in seinem Wortschatz.
    »Verdammtes Pech«, sagte er schließlich.
    Ich zuckte mit den Schultern. Benny hatte eine Tante, die gestorben war, deshalb wusste ich, dass er wusste, wovon er sprach. Ich selbst hatte keine Ahnung.
    Tot?
    Wenn ich daran dachte - und ich hatte während dieses kalten, trostlosen Frühlings ziemlich oft darüber nachgedacht -, dann kam ich meistens nur darauf, dass es wohl das sonderbarste
    Wort war, das es überhaupt gab.
    Tot?
    Unbegreiflich. Und das Schlimmste war, dass mein Vater genauso wenig Zugriff zu diesem Wort zu haben schien wie ich. Ich hatte es vor nicht allzu langer Zeit bemerkt, als ich ihn das einzige Mal fragte, was es eigentlich bedeutete. Was es beinhaltete, tot zu sein.
    »Hmm ja«, hatte er gemurmelt und weiterhin auf den Fernseher gestarrt, der mit leise gestelltem Ton lief. »Das weiß man nicht. Die, die leben, werden sehen.«
    »Ein schwerer Sommer«, wiederholte Benny nachdenklich. »Zum Teufel, Erik, du musst mir schreiben. Ich sitze da oben in Malmberg, bis die Schule wieder anfängt, aber wenn du einen guten Rat brauchst, dann weißt du, wo du mich finden kannst.«
    Da ging ein Engel durch die Zementröhre. Er war ganz deutlich zu spüren, und ich weiß, dass auch Benny ihn fühlte, denn er räusperte sich und wiederholte sein Angebot mit feierlicher Stimme.
    »Verfluchter Mist, Erik. Schreib mir, wie es dir geht.«
    Wir teilten noch eine letzte zerknitterte Zigarette. Ich glaube, dass ich später Benny sogar einen Brief geschrieben habe, wahrscheinlich irgendwann im Juli, als es am allerschlimmsten war, aber ich bin mir dessen nicht sicher. Ich weiß jedenfalls, dass er mir nie einen Rat gegeben hat.
    Er war nicht so gut mit Papier und Bleistift, der Benny Barkman. Absolut nicht.
    ***
    In diesem Jahr Anfang der Sechziger arbeitete mein Vater im Gefängnis. Das war wahrscheinlich ein anstrengender Job, vor allem für eine Person mit seiner Empfindsamkeit, aber er sprach nie darüber; wie er sowieso nicht gern über unangenehme Dinge sprach.
    Jeder Tag bringt neue Sorgen. Das ohnehin.
    Er war Ende der dreißiger Jahre in den Ort gekommen, mitten in der Depression, hatte meine Mutter kennen gelernt und sie ungefähr zu der Zeit geschwängert, als die Welt verrückt wurde und sich selbst zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert an die Gurgel sprang. Mein Bruder Henry wurde am ersten Juni 1940 geboren, mein Vater besuchte seine Ehefrau und seinen Sohn im Krankenhaus drei Tage später, er kam mit frisch gepflückten Maiglöckchen und vierzig Dosen Armeeleberpastete direkt von seinem Regiment oben in Lappland.
    So wurde es zumindest immer erzählt.
    Er kehrte nie wieder in den Norden zurück. Auf irgendeine Weise gelang es ihm, nachdem sein erster Sohn geboren worden war, sich für den Rest des Kriegs dem Militärdienst zu entziehen. Ich
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