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Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Titel: Kim Novak badete nie im See von Genezareth
Autoren: Håkan Nesser
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die linke.
    »Wir haben ein paar Weintrauben gekauft«, sagte mein Vater.
    »Das ist aber nett«, sagte meine Mutter.
    Ich legte die Tüte vom Zeitungskiosk auf die gelbe
    Krankenhausdecke.
    »Was macht die Schule?«, fragte meine Mutter.
    »Läuft gut«, sagte ich.
    »Hast du dir heute freigenommen?«
    »Ja.«
    Sie schaute in die Tüte und schloss sie dann wieder.
    »Und zu Hause?«
    »Keine Probleme«, sagte ich. »Papa lässt zwar manchmal die Soße anbrennen, aber er wird von Tag zu Tag besser.«
    Meine Mutter lächelte, und als wenn das sehr anstrengend für sie wäre, schloss sie dabei die Augen. Ich schaute sie an. Sie war graublau im Gesicht, und ihr Haar sah aus wie trauriges Gras.
    »Keine Probleme«, wiederholte ich. »Gibt es hier 'n Klo?«
    »Ja, natürlich«, sagte meine Mutter mit müder Stimme. »Draußen auf dem Flur.«
    Ich nickte und ging hinaus. Setzte mich aufs Klo und versuchte fünfundzwanzig Minuten lang zu scheißen, dann ging ich zurück. Meine Mutter und mein Vater saßen jetzt ganz dicht beieinander und flüsterten. Als ich hereinkam, verstummten sie. Ich setzte mich wieder auf den Stuhl links von ihr.
    »Ihr fahrt bald nach Genezareth?«, fragte meine Mutter.
    »Ja«, antwortete ich. »Henry und ich waren schon da und haben ein bisschen aufgeräumt.«
    »Wie schön, dass Henry und Emmy sich um dich kümmern wollen.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Henry schlägt sich ganz gut durch«, sagte mein Vater.
    Eine Weile schwiegen alle.
    »Es ist nett von dir, dass du heute mitgekommen bist«, sagte
    meine Mutter. »Ach was«, sagte ich.
    »Ich glaube, wir gehen jetzt«, sagte mein Vater. »Dann kriegen wir noch den Viertelnach-Bus.«
    »Macht das, ihr beiden«, sagte meine Mutter. »Ich habe hier ja alles, was ich brauche.«
    »Ich komme morgen nach der Arbeit«, sagte mein Vater.
    »Es hat keine Eile«, sagte meine Mutter. Ich stand auf und
    klopfte ihr leicht auf den Unterarm, und dann gingen wir fort.
     
    ***
     
    Ich holte die Oberst-Darkin-Bücher heraus und zählte sie. Es stimmte. Sechs Stück. Sechs schwarze Wachspapierhefte mit jeweils achtundvierzig Seiten. Fünf der Hefte waren voll, das sechste war bald unter Dach und Fach. Ich stopfte die fertigen Abenteuer in eine Plastiktüte und schob sie ganz hinten in die Schublade, in der ich meine Unterwäsche aufbewahrte. Das war kein ideales Versteck, ich hatte schon oft überlegt, ob ich mir kein besseres besorgen sollte, vielleicht die Tüte ganz einfach im Wald vergraben. Ein bisschen weiter hinten in dem ausgetrockneten Graben, da würde sie so sicher liegen wie das Amen in der Kirche.
    Aber daraus war nie etwas geworden. Und natürlich war die Unterhosenschublade jetzt, wo meine Mutter im Krankenhaus lag, sehr viel sicherer geworden. Mein Vater gehörte nicht zu denen, die zwischen den Sachen ihrer Söhne herumwühlten. Es war schon ganz ungewöhnlich, dass er mal in mein Zimmer kam.
    Ich hatte vor ungefähr zwei Jahren damit angefangen. Damals hatte ich so ein Heft als Geburtstagsgeschenk von Linda-Britt bekommen, einer dicken Cousine mit Hasenzähnen, die meinte, ich sollte doch anfangen, Tagebuch zu schreiben. Das tat sie nämlich, und es war unglaublich entwicklungsfördernd.
    Es gab nicht einmal Linien in dem Heft, was ich komisch fand, da sie doch geplant hatte, dass ich was reinschreiben sollte. Stattdessen nahm ich ein Lineal und teilte die Seiten in Comic-Art auf, vier Kästchen auf jeder Seite, nur auf den rechten, insgesamt achtundvierzig Stück, und dann fing ich schon bald mit Oberst Darkin und die Goldbande an. Das war ein Abenteuer, das sich in London, Askersund und im Wilden Westen abspielte, und es enthielt alles, was man sich nur wünschen konnte, von verzwicktem Doppelspiel, unbestechlicher Ritterlichkeit bis hin zu messerscharfen Dialogen.
    »Sie haben genau eine Sekunde Zeit für Ihre Antwort, Ingenieur Frege, meine Zeit ist kostbar.«
    »Das ist ein reizender Körper, den Sie da haben, Miss Carlson. Wollen Sie ihn behalten?«
    »Bei allen Elchgeweihen, Nessie, du hast vergessen, Rum in den Tee zu kippen.«
    Oberst Darkin selbst war ein vernarbter Spürhund, der sich in sein Holzhaus in den Bergen zurückgezogen hatte, aber wieder auszog, wenn die Geschehnisse in der Weltgeschichte es erforderten. Sein Kompagnon war eine blonde Nichte mit großem Busen und viel Macht über die Männerwelt. Ich nannte sie Vera Lane und war schon vom ersten Bild an in sie verliebt.
    Im Augenblick saß sie in einem hohen Turm, eingesperrt
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