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Ketten der Liebe

Ketten der Liebe

Titel: Ketten der Liebe
Autoren: Christina Dodd
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sah.
    Solange er nicht reiten oder segeln konnte - die Folgen des erlittenen Kutschenunfalls vor zwei Monaten schränkten ihn nach wie vor stark in seinen Aktivitäten ein -, zogen sich die Tage endlos hin, angefüllt mit langen Spaziergängen an der frischen Luft. Und gezwungenermaßen las er viel.
    Er schaute auf das Buch, das er in Händen hielt. Mein Gott, er war des Lesens überdrüssig. Die Zeitungen aus London trafen unregelmäßig ein. Er hatte sogar begonnen, lateinische Texte zu lesen, und das hatte er seit dreizehn Jahren nicht mehr getan. Zu jener Zeit war sein Vater gestorben, und Jermyn hatte diesem Ort lange den Rücken gekehrt.
    Wie sehr er sich nun wünschte, er wäre nicht zurückgekommen!
    Der Stolz hatte ihn bewogen, London Hals über Kopf zu verlassen. Er hasste es, ein Invalide zu sein. Als noch schlimmer empfand er es indes, von der Aufmerksamkeit erdrückt zu werden, die man ihm während der langsamen Genesung entgegenbrachte. Als Onkel Harrison ihm daher vorschlug, die Abgeschiedenheit von Summerwind Abbey zu nutzen, erkannte Jermyn die Vorteile dieser Idee.
    Inzwischen bereute er den Schritt.
    Im Pavillon nahm er in einem Rohrstuhl Platz und rieb sich den lädierten Oberschenkel. Bei dem Unfall hatte er sich einen komplizierten Bruch zugezogen, und dieser Landarzt, den er vor zwei Tagen abends gerufen hatte, hatte ihn in ländlichem Akzent wissen lassen: »Die beste Medizin ist Zeit und Bewegung. Gehen Sie spazieren, bis Ihr Bein ermüdet, aber überanstrengen Sie sich nicht! Gehen Sie dort, wo es flach ist. Wenn Sie ausrutschen und sich erneut den Knochen brechen, werden Sie bleibende Schäden davontragen.«
    Mit einem Laut des Unmuts hatte Jermyn den Mann entlassen. Natürlich war es seiner Genesung nicht zuträglich gewesen, als er am Vortag den steilen, gewundenen Pfad über die Klippen genommen hatte, der hinunter zum Strand führte - er war gestürzt, da sein Bein noch nicht stark genug war. Er hatte sich kaum aus eigener Kraft zurück zum Haus schleppen können. Es war dieser Schmerz im Bein, der ihn veranlasst hatte, überhaupt nach dem Arzt zu schicken, und Jermyn war alles andere als begeistert, als er hörte, er solle vorsichtig auf der Veranda auf und ab gehen wie eine alte Frau oder ein Kind.
    Er schlug das Buch auf und vertiefte sich in die Handlung von Tom Jones ; ein Roman, der in einer Zeit spielte, als England noch aufregend war und man die Jugend noch in vollen Zügen genießen konnte.
    Obwohl er sich zunächst gar nicht darauf hatte einlassen wollen, nahmen die ausgelassenen Abenteuer, die Henry Fielding für seinen Titelhelden ersonnen hatte, Jermyn ganz gefangen. Als er eine vorsichtige Stimme hörte, zuckte er regelrecht zusammen. »Mylord?«
    Am Eingang des Pavillons stand ein Hausmädchen mit einem Glas auf einem Tablett. Als Jermyn zustimmend nickte, trat sie in das Innere der großzügigen Laube.
    Drei Dinge fielen ihm auf. Diese junge Frau hatte er noch nie gesehen. Ihr blaues Kleid war verschlissen, aber das silberne Kreuz, das sie um den Hals trug, war ausgesprochen fein gearbeitet. Und während sie ihm das Glas darbot, suchte sie beinahe dreist seinen Blick.
    Doch er begriff nicht sofort, was es damit auf sich hatte. Stattdessen fiel ihm die zarte Haut der jungen Frau auf, die so anders aussah als die der hiesigen Mädchen mit ihrem braunen Teint. In ihren Augen lag ein ungewöhnlicher grüner Schimmer, der ihn an die aufgewühlte See vor einem Sturm erinnerte. Sie hatte schwarzes Haar, das sie sich hochgesteckt hatte. Nur zwei verspielte Locken stahlen sich aus dem Tuch, das die Haare zusammenhielt. Er hätte wetten mögen, dass sie noch keine zwanzig war. Sie war ausgesprochen hübsch, doch ihre Miene war ernst, beinahe streng.
    Vielleicht war sie deshalb noch nicht verheiratet.
    Ohne seine Erlaubnis abzuwarten, ergriff sie das Wort. »Mylord, Sie müssen das trinken. Ich habe das Tablett den ganzen Weg hierher getragen!«
    Halb verärgert, halb belustigt, erwiderte er: »Ich habe nicht danach verlangt.«
    »Es ist Wein«, sagte sie.
    Sie war ein mutiges Ding, hatte aber nicht die Manieren, die seine Bediensteten auszeichneten. Offenbar war sie neu. Vielleicht befürchtete sie, Schelte zu beziehen, wenn er nicht den Wein entgegennahm, den der Butler ihm zugedacht hatte. »Also gut, ich nehme den Wein.« Er hob das Glas an die Lippen und zögerte, da die junge Frau den Blick nicht von ihm wendete und offenbar darauf wartete, dass er den ersten Schluck nahm.
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