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Kerstin Gier 2

Kerstin Gier 2

Titel: Kerstin Gier 2
Autoren: Mutter-Mafia und Friends
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…«
    Zu spät. Beide sind schon zu weit voraus, als dass sie mich jetzt noch hören würden. Ich tapse mit weichen Knien hinterher. Jetzt ist alles im Eimer. Alle anderen Eltern stehen in der Küche, alle werden es mitbekommen. Trotzdem, Haltung bewahren, egal was kommt, immer Haltung bewahren, denke ich mir. Du hast schon ganz andere Sachen durchgestanden.
    Ich stehe in der Küchentür. Für mich ist es wie der Eingang zu einer großen Bühne. Eine Bühne, auf der ich jetzt nicht stehen will. Eine Bühne, die genau in diesem Moment die Hölle für mich ist.
    »Günther!«
    »Na, wurde auch Zeit.«
    »Nimm dir ein Glas.«
    »Jetzt sind wir endlich komplett.«
    »Wir können anstoßen.«
    Anstoßen? Ich kann doch jetzt nicht einfach mit ihnen anstoßen und so tun, als ob nichts wäre. Wie scheinheilig. Das macht es dann hinterher nur noch schlimmer. Ich muss da jetzt durch. Selbst schuld.
    »Ich … hust.«
    »Ich glaube, Günter will was sagen.«
    »Nur zu, wir sind ganz Ohr.«
    Das hätte nicht sein müssen. Das hätte wirklich nicht sein müssen. Was ich angerichtet habe, ist ohnehin schlimm genug. Und jetzt muss ich es auch noch vor der ganz großen Runde beichten. Aber ich komme da nicht mehr raus. Die Würfel sind gefallen. Steh es durch wie ein Mann.
    »Also, es ist so …«
    Meine Stimme klingt ungefähr so, wie die des Geists in Hamlet. Nun merken alle, dass das, was ich mitzuteilen habe, etwas Ernstes sein muss. Die letzten Gespräche verstummen. Die lächelnden Gesichter werden langsam zu Fragzeichen. Spätestens jetzt hängt jeder der rund ein Dutzend Erwachsenen in dieser Wohnküche an meinen Lippen. Es gibt kein Zurück mehr.
    »Es ist so … wir … wir …«
    Es ist so grausam, es will mir nicht über die Lippen. Ich nehme die letzten Kräfte zusammen.
    »Wir haben … kein Geschenk.«
    Es ist draußen. Komisch, ich hatte gedacht, wenn ich es erst einmal ausgesprochen habe, würde es mir besser gehen. Aber nein, mein trockener Mund, mein nicht vorhandener Atem, mein Herz auf Notbetrieb, meine Knie im Puddingmodus, alles wie vorher.
    Und die Leute? Ja, es ist ihnen anzusehen. Damit haben sie nicht gerechnet. Wie sollten sie auch. Jemand kommt zum Kindergeburtstag und bringt kein Geschenk mit. Unrealistisch. Absurd. Außerhalb alles Denkbaren. Sie sind perplex.
    »Es … es tut mir so leid. Ich wollte es gestern Nachmittag besorgen, aber mir ist was Wichtiges dazwischengekommen. Und heute Vormittag … also wir haben einfach ausgeschlafen, gemütlich gefrühstückt, herumgehangen und …«
    Ich schaue zu Boden. Das letzte bisschen Farbe weicht aus meiner Stimme.
    »Wir haben es einfach vergessen.«
    Komisch, irgendwie habe ich erwartet, dass sie auf mich einschlagen. Aber das geschieht natürlich nicht. Was passiert, ist noch viel schlimmer: Stille. Bitte, sie sollen ihren Unwillen bekunden, ihr Entsetzen, mich beschimpfen, alles, aber bitte nicht diese Stille.
    »Na ja, Günther.«
    Na ja, Günther ? Was war das für ein komisches Na ja Günther ?
    »Also so schlimm ist das jetzt auch wieder nicht.«
    Ha, diese Nummer. Die übelste von allen. Ich weiß doch, was ihr jetzt alle denkt. Ein Schatten hängt über der Party. Ich habe dem armen Kind seinen Geburtstag versaut. Mit etwas Glück wird es gerade noch so eben keine Tränen geben, aber das macht es nicht weniger schlimm. Und ich bin an allem schuld. Und es hätte gar nicht sein müssen. Wenn ich ein Mal in meinem ganzen Leben die Uhr um 24 Stunden zurückdrehen können wollen würde, dann jetzt.
    »Ich … ich geh jetzt wohl mal besser zu Melanie und beichte es ihr.«
    »Quatsch, Günther. Die sind doch mitten am Spielen.«
    »Wir sagen es ihr nachher. Ist kein Beinbruch.«
    Moment. Moment … Die Stimmen, die Gesichter. Ich bekomme allmählich das Gefühl, sie meinen das tatsächlich so, wie sie es sagen.
    »Aber …«
    »Weißt du was? Madame hat heute schon so viele Geschenke eingesackt, ich glaube, sie merkt es nicht einmal.«
    »Glaub ich auch. Wir sagen einfach gar nichts. Nur wenn sie fragt.«
    Alle nicken dazu. Die Ersten fangen schon wieder an, sich zu unterhalten.
    »Ihr meint wirklich …?«
    »Komm, wir wollen endlich anstoßen.«
    *
     
    Unglaublich. Noch vor einer halben Stunde hatte ich ernste Zweifel, ob ich diesen Nachmittag überleben würde, und jetzt fühle ich mich schon wieder recht entspannt und spreche mit den anderen Eltern über die Dinge, über die wir immer sprechen: Matheaushilfslehrerin Kölbling kann nicht gut
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