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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten
Autoren: Berndt Guben
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hatten durch ihren erhöhten Stand freies Schußfeld über ihre Verbündeten hinweg.
    Die Hampers waren an ihrer blauseiderten Kleidung leicht zu erkennen.
    Als die Salve krachte, stürzten die ersten zehn getroffen zu Boden.
    Hammuda Pascha ließ mit verzweifelter Hoffnungslosigkeit den Säbel sinken. Wenn die Wacheinheit noch ein paarmal schoß, waren seine Getreuen in spätestens zehn Minuten erledigt.
    Er wehrte einen Angreifer ab und spaltete einem zweiten den Kopf. Aber was half dies?
    Ein Gedanke durchzuckte sein Gehirn. In seinem Gemach hing Abu Hanufas Wunderflinte. Wenn er jetzt seinen ehemaligen Lehrer aus dem Gefängnis befreite, dann mußte dieser kämpfen, da es auch um sein eigenes Leben gehen würde.
    »Selim«, rief er so laut, daß alle seine Getreuen es hören konnten, »haltet, solange ihr könnt! In wenigen Minuten habe ich Hilfe herbeigeschafft. Wir werden siegen! Haltet aus!« Er setzte sich nach hinten ab.

57
    »Ich möchte wissen, was in unseren Wächter gefahren ist«, sagte Ojo böse. »Weshalb läßt uns der Kerl so lange auf das Essen warten?« »Bist du schon wieder hungrig, Diaz?«
    »Ihr wißt, Senor Doktor, daß Essen eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist.Das heißt, wenn es keinen Wein gibt. Für eine Botella »Andalusischen« laß ich den fettesten Kapaun liegen.« »Mir wäre im Augenblick eine Pfeife Tabak lieber. Ja, so hat jeder seinen eigenen Geschmack.« Sie schwiegen eine Weile. Ojo lag auf seiner Pritsche und starrte zur Decke, und Michel stand mit geschlossenen Augen an die Wand gelehnt. Er dachte an Marina und verwünschte den Tag, an dem er mit drei Schüssen dem Bej das Leben gerettet hatte.
    Wo mochte sie jetzt sein? War sie noch am Leben? Hatte sie sich vielleicht gewehrt oder zu befreien versucht und dabei den Tod gefunden?
    »Teufel«, sagte er leise zu sich selbst. Weshalb dachte er unausgesetzt an die Piratin? Früher waren seine Gedanken in solchen Lagen stets nach Deutschland gewandert, nach Kassel, in jenes Haus, in dem Charlotte Eck wohnte. Hatte die lange Zeit der Trennung seine Sehnsucht nach dem Mädchen verschüttet? War es möglich, daß er jetzt auf einmal Marina — — —? Er war verwirrt. Und so drang das Waffenklirren, das von fern an sein Ohr schlug, nicht bis in sein Bewußtsein.
    Ojo richtete sich lauschend auf. »Hört Ihr nichts, Senor Doktor?«
    Michel, aus seinen Gedanken gerissen, nahm nun ebenfalls den Lärm wahr. Nach einer Weile sagte er:
    »Das hört sich an, als ob größere Gruppen gegeneinander kämpfen.« Der Lärm verstärkte sich und kam von Minute zu Minute näher. Die beiden schwiegen und lauschten.
    Plötzlich wurde mit lautem Krach der Türriegel zurückgeschoben. Die Tür öffnete sich. Mit gezogenem Säbel stand schweratmend Hammuda im Raum. Die beiden Gefangenen blickten erstaunt auf.
    »Abu Hanufa«, brach es aus Hammuda hervor, »du mußt uns helfen! Feinde, Aufständische und Meuterer haben sich gegen den Thron verschworen. Das Häuflein der Getreuen ist auf einen kläglichen Rest zusammengeschmolzen. Aisad hat die Revolution angezettelt. Nur dein Gewehr kann uns Luft schaffen.« Michel nahm eine gelassene Haltung ein.
    »Ich habe nichts gegen dich, Hammuda Pascha, das weißt du. Aber ich werde nicht einen Finger rühren, um deinen tyrannischen Vater zu retten. Der Bej war es, der uns beide in diesen verdammten Kerker warf!«
    »Vergiß es«, bat Hammuda. »Wenn wir dieses Schreckliche überstanden haben, dann wird mein Einfluß größer werden. Du weißt, ich fühle aufrichtige Freundschaft für dich.« Michel war längst entschlossen, der Bitte nachzukommen; denn für ihn war es der einzige Weg, die Freiheit wiederzuerlangen. Wenn er erst sein Gewehr in den Händen hielt, so sollte es den Feinden schwerfallen, seiner habhaft zu werden. Diesmal war er vorbereitet. Dennoch hielt er es für klüger, nur zögernd zuzustimmen. Er wollte, daß man seinen Wert richtig erfaßte und sich klar machte, daß man ihn nicht holen und wieder wegstellen konnte wie einen lästigen Gegenstand, den man ab und zu einmal brauchte.
    »Es tut mir leid, Hammuda Pascha, daß ich dich enttäuschen muß. Aber ich werde euch nicht helfen, den Thron zu erhalten, damit ihr die Macht habt, mich nach getaner Arbeit wieder in dieses Loch zu sperren.«
    »Oh, fürchte das nicht, Sahabati. Wenn wir siegen, werde ich alles, was in meinen Kräften steht, für dich tun!«
    »Du schon. Aber dein Vater ...?«
    »Ich werde ihn zu bestimmen wissen, daß er
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