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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten
Autoren: Berndt Guben
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Aladin und seine Rabauken vertreiben. Morgen!

55
    Michel ging in seiner Zelle auf und ab.
    Ojo lag auf der hölzernen Pritsche und schnarchte markerschütternd. Ihn brachte so leicht nichts mehr aus der Ruhe. Zu viel hatte er schon in Gesellschaft des deutschen Doktors erlebt. Sein Vertrauen zum Glück des Pfeifers war grenzenlos.
    Michel hingegen hatte diesmal das Vertrauen zu sich selbst weitgehend eingebüßt. Die augenblickliche Umgebung kam ihm düsterer vor als alle Verliese, in denen er bisher gesessen hatte. Hier aus eigener Kraft herauszukommen, war hoffnungslos. Es tröstete ihn zwar, daß Hammuda Pascha sich nach wie vor um ihn kümmerte und sich für seine Freiheit einsetzte; aber er glaubte nicht an einen Erfolg. Der Bej schien ein dickköpfiger, hartherziger Kerl zu sein, der sich von niemandem beraten ließ.
    Michel hatte jeden Quadratzentimeter seiner Zelle durchforscht. Es war ein altes, aus fugenlosem Felsgestein erbautes Gemäuer, in dem es keine Geheimgänge oder lockere Wandteile gab, die sich herausbrechen ließen.
    Ojo rekelte sich und erwachte.»Du hast einen gesunden Schlaf, Diaz.«
    »Si, si, Senor Doktor. Was nützt es mir, wenn ich wache und doch keinen Ausweg finde? Man muß Kraft sammeln, solange man noch dazu in der Lage ist. Der tiefe Schlaf ist das beste Mittel dafür.«
    Ein Schlüssel knarrte in der Zellentür. Der Lauf einer Reiterpistole wurde sichtbar. Dann schob sich eine Hand in den Raum, deren Zeigefinger am Abzugsbügel lag. Eine Stimme sagte: »Geht an die hintere Wand zurück, ihr Hunde!«
    Ojo und Michel gehorchten widerspruchslos. Sie hatten sich an diese Komödie mittlerweile gewöhnt. Die Hand mit der Pistole gehörte dem Wächter, der zweimal täglich das Essen brachte. Die Tür öffnete sich so weit, daß der Mann sichtbar wurde. Mit dem Fuß schob er eine Schüssel in den Raum. Dann folgte eine Kanne Wasser, und dann wurde die Tür eiligst wieder zugeschlagen.
    Das Essen war gut wie immer, das Wasser frisch und klar.

56
    Es waren an diesem Tag auffällig viele Leute in der Stadt. Die Einwohner von Tunis, die auf den Märkten und in den Basaren zu tun hatten, wunderten sich über die vielen Gruppen fremder Gesichter, die sich überall gebildet hatten. Es herrschte ein Rummel wie sonst nur an Festtagen. Aber man machte sich weiter keine Gedanken darüber.
    Als der Abend hereinbrach, zog sich das fremde Gelichter in der Nähe des Palastes zusammen.
    Viele der Unbekannten saßen zu Pferde oder führten ihre Tiere am Zügel mit sich. Sie bildeten auch hier wieder Gruppen und unterhielten sich laut schreiend über Alltäglichkeiten, so daß ihre Gespräche bei dem Posten am Tor keine besondere Aufmerksamkeit erregten.
    Der Torwächter machte zwanzig Schritte hin, zwanzig Schritte her und wieder zwanzig Schritte hin — wie jeden Tag. Eigentlich war alles so wie immer. Plötzlich verstummte das Geschrei der Fremden. Sie richteten ihre Blicke gen Himmel, als erwarteten sie einen Kometen.
    Die letzten Schatten der Dämmerung sanken in die schwarze Nacht. Hell und strahlend stand die runde Scheibe des Mondes am Himmel.
    Da brach aus einer Gasse, die der Pforte des Palastes gegenüberlag, eine Reiterschar mit geschwungenen Krummsäbeln hervor und stürmte, den Posten überreitend, durch das Tor in den Palasthof.
    Die Fremden saßen plötzlich alle zu Pferde und schlossen sich der Reitergruppe an. Einer der Posten, der innerhalb der Mauern seine Runden ging, raste wie ein Besessener zur Wachstube und schrie dem wachhabenden Offizier zu: »Alarm! Alarm! Ein Räuberheer überfällt den Palast!«
    »Das sind keine Räuber«, sagte der Offizier der Leibwache, der von Aisad eingeweiht war. »Laßt sie gewähren.«
    Aber der wachhabende Kommandant hatte die Rechnung ohne seinen Adjutanten gemacht. Dieser war ein blutjunger, tapferer Fanatiker, der den Bej und den »Kronprinzen« verehrte, da sie ihm überhaupt erst die Möglichkeit gegeben hatten, zum Offizier zu avancieren.Er stellte sich vor den Kommandeur und rief mit zornrotem Gesicht:
    »Wie kannst du den Palast einer Räuberbande überlassen! Sie werden den Bej umbringen, zu dessen Schutz wir da sind!«
    Der Kommandeur runzelte die Stirn.
    »Sprich nicht in einem solchen Ton mit mir, Selim. Wir Älteren und Erfahrenen wissen, daß heute nacht die Tyrannei beendet wird. Der Bej wird gestürzt. Die Stürmenden sind keine Räuber, sondern Revolutionäre. Respektiere sie und schweige.« Selim aber dachte nicht daran.
    »Verrat!«
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