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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks
Autoren: Carl Hanser Verlag
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dass seine vier Jahre dauernde Affäre mit der Staatsanwältin aus dem kroatischen Pula ein Geheimnis geblieben war. Marietta und der alte Galvano hatten zwar ständig Anspielungen darauf gemacht, doch nachweisen konnten sie es ihm nie.
    »Das Geschwätz der anderen, mach dir nichts draus. Ich hab Heißhunger. Wenn wir jemals aus diesem Dickicht hier herausfinden, verschlinge ich eine doppelte Portion.«
     
    Die Sonne hatte sich inzwischen herabgesenkt und den Golf von Triest blutrot gefärbt. Der Kellner wies Laurenti und Gemma einen freien Tisch ganz am vorderen Rand der Terrasse unter den ausladenden Ästen einer Platane zu. Die Pizza kam rasch, und hungrig machten sie sich darüber her. Laurenti hatte eine »Diavola« bestellt mit pikanter Salami und Knoblauch extra, während Gemma große Stücke von einer »Romana« abriss, mit Sardellen und Origano. Immer wieder drängten sich Kinder anderer Gäste direkt vor ihrem Tisch ans Geländer, um die Wildschweine zu sehen, die sich im Gehege unterhalb wild grunzend die Pizzareste streitig machten. Diese Tiere mussten das Schlachtermesser, aber keine Wilderer mit Kalaschnikows fürchten.
    »Ich habe gelesen, dass die Waldhüter auf keinen Fall die Muttertiere umlegen sollen«, sagte Gemma, als sie beim Espresso angekommen waren. »Die Leitbache synchronisiert die Paarungsbereitschaft der weiblichen Tiere in der Rotte und sorgt dafür, dass sich nicht schon die jungen Säue fortpflanzen. Die Überlebenschancen der Frischlinge sind höher, wenn alle etwa gleich alt sind.«
    »Bei uns zu Hause geht’s, was das betrifft, ganz ähnlich zu.« Proteo Laurenti stellte die Tasse zurück. »Laura wäre überglücklich, wenn ihre Töchter …« Bevor er den Satz vollenden konnte, klingelte sein Telefon. Nach einem Blick aufs Display nahm er missmutig ab. Er ahnte bereits, dass es keine gute Nachricht war.
    »Entschuldige die Störung zu dieser Stunde, Commissario«, hörte er Carmine Castaldi, den Kommandanten der Hafenfeuerwehr, sagen. »Wir haben eine Leiche aus dem Wasser vor der Diga vecchia gefischt. Ein Mann, bekleidet, er hat uns einigen Kummer bereitet. Er wiegt gut und gern drei Zentner. War nicht gerade leicht, ihn herauszuziehen. Der trieb da einfach auf dem Bauch heran.«
    »Unverschämtheit«, sagte Laurenti. »Zeig ihn an.«
    »Du musst gleich kommen.«
    »Und warum ich?«, fragte Laurenti. Nur mit Mühe gelang es ihm, nicht ungehalten zu reagieren. Jedes Mal, wenn im Zuständigkeitsbereich dieses Kommandanten etwas vorfiel, verständigte er Laurenti, als könnte er ihn nicht leiden. Warum meldete er es nicht den Kollegen von der Wasserschutzpolizei oder den Carabinieri, der Guardia di Finanza oder der Küstenwache? An Behörden fehlte es weiß Gott nicht. Das gesteigerte Ordnungsbedürfnis der Triestiner war seit habsburgischen Zeiten in ihrer DNA festgeschrieben.
    »Bei dir sind die Dinge einfach in den besten Händen. Wann kannst du hier sein?«
    »Nachher.« Er legte grußlos auf und schnaubte. Gemma erkannte schon an seinem Blick, dass der schöne Abend sein Ende hatte. Laurenti wählte die Nummer des Kommissariats und bat die diensthabende Inspektorin den Ermittlungsapparat anzuschieben, winkte dem Kellner und bezahlte.
     
    *
     
    Vor der Kommandantur der Hafenfeuerwehr am Molo  III lag im grellen Licht der Halogenlampe in einem geöffneten Leichensack der leblose Körper eines mächtigen Mannes. Carmine Castaldi ging Laurenti entgegen, als erwartete er ein Lob, doch der Commissario winkte bereits unwirsch ab, bevor der Kommandant zu reden begann.
    Helle Hosen, kurzärmliges Hemd mit feinen rosafarbenen Vertikalstreifen, billige Plastiksandalen. Lange dunkle Haarsträhnen, den Mund halb geöffnet, die Zähne weiß und in gutem Zustand. Laurenti schätzte den Mann auf etwa fünfzig, er war deutlich übergewichtig und von schlaffer Muskulatur – ein Bürohengst und ganz sicher keiner, der sich körperlich betätigte. Die Wasserleiche wurde von Alfredo Zerial, dem Gerichtsmediziner, untersucht, den der Anruf aus dem Kommissariat ebenfalls vom Abendessen weggerufen hatte. Sein Atem roch nach Wein.
    »Und?«, fragte Laurenti den Gerichtsmediziner, der ihn mit einem Handzeichen begrüßte.
    Von der Badeanstalt auf der Diga vecchia drangen die Klänge von Hip-Hop-Musik und Gelächter herüber. Die Partygäste in der Bar auf dem Deich, der jede halbe Stunde vom Molo Audace aus mit einem Boot angefahren wurde, ahnten nichts von der Leiche, die vor dem
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