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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks
Autoren: Carl Hanser Verlag
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mich reingelegt, wie kam der Fotograf wohl sonst ins Zimmer? Hunderttausend Pfund soll ich dafür berappen. Und das ist sicher erst der Anfang. Wer garantiert mir, dass die Erpresserei nicht weitergeht, selbst wenn ich zahle? Heute ist alles digitalisiert, das läuft nicht mehr so, wie wir es aus alten Illustrierten kennen: Negative gegen Geld. Stell dir vor, der Schweinehund gründet eine Fangemeinde in Facebook und stellt die Fotos rein!«
    »Ach herrje! Wer ist der Kampfstier auf dem Bild?«
    Ein hochgewachsener junger, Mann mit sinnlichem Mund und den Augen eines Rehs, gut aussehend, schlank und muskulös, mit leicht gewelltem schwarzem Haar und einer prächtigen Erektion, die Jeanette aus nächster Nähe zu inspizieren schien, als studierte sie das Kleingedruckte eines Versicherungsvertrags. Nie hätte Miriam Jeanette, die als Abgeordnete permanent die viktorianischen Tugenden und die heiligen Werte der Familie predigte, eine solche Eskapade zu getraut.
    »Ein Italiener, der sogar etwas Englisch spricht, über das übliche ›Ai laff ju‹ hinaus. Er ist offensichtlich darauf spezialisiert, alleinreisende Touristinnen abzuschleppen, sie in solche Situationen zu bringen und zu erpressen. Keine Ahnung, wie viele Frauen ihm bislang zum Opfer gefallen sind.«
    Miriam hatte andere Vorstellungen von Opfern. In ihrem Geburtsland in Ostafrika hatte sie es am eigenen Leib erfahren. Bis zu ihrer Flucht. Minister und Abgeordnete, die ihr Amt niederlegen mussten, weil sie mit Nutten erwischt wurden oder mit der Frau eines Kollegen von der Opposition, zählte sie nicht dazu.
    »Ich dachte, du wolltest mit John verreisen?«, fragte sie.
    »Es ist schon das zweite Mal, dass ich alleine fahren musste. Letztes Jahr war es die Finanzkrise, und diesmal kamen diese Umstrukturierungen in der Bank. Eigentlich wollten John und ich eine Italientour mit dem alten Jaguar-Cabriolet machen. Wir hatten alle Details geplant, jede einzelne Station. Aber dann rauschte plötzlich die Meldung über den Schirm, dass die Europäer die Hedgefonds kontrollieren wollen. John saß in der Klemme, und ich brauchte dringend Erholung. Zuletzt drängten sich die Sitzungen im Unterhaus wie die Schafe in den Highlands.«
    »Und weshalb ausgerechnet Grado?«
    »Die Werbung im Internet hat mich angesprochen, die Flugverbindung lag günstig, das Hotel war gut, der Sandstrand weitläufig und schön. Dazu war Vorsaison und sicher kein Mensch dort, der mich hätte erkennen können. Und dann so was.« Jeanette winkte verärgert ab. »Er muss herausgefunden haben, wer ich bin. Stell dir bloß die Titelzeile der ›Sun‹ oder der ›Daily Mail‹ vor: ›Sexbestie McGyver – Tory-Abgeordnete betrügt im Italienurlaub Gatten mit Latinlover‹ oder so ähnlich. Du musst mir helfen!«
    Miriam schaute grübelnd zum Fenster hinaus. Die Tropfen prasselten gegen die Scheibe. Ein atlantisches Tiefdruckgebiet hatte starke Regenfälle nach London gebracht, für einen jähen Temperatursturz gesorgt und den Sommernachmittag frühzeitig verdunkelt. Das Feuer im offenen Kamin des Nebenraumes des Horse Pub loderte dafür fröhlich vor sich hin. Eigentlich wäre dies ein idealer Nachmittag gewesen, um sich in tiefen Ledersesseln versunken den warmen Erinnerungen der ersten großen Liebe hinzugeben, und nicht mit derartigen Schweinereien auseinanderzusetzen, die Jeanette McGyver tatsächlich den Kopf kosten konnten. Sie kannten sich, seit Miriam Natisone vor acht Jahren eine ganze Reihe britischer Politikerinnen zur Unterstützung einerNGO zu überzeugen versuchte, die sich für die Rechte der Frauen in ihrem Heimatland einsetzte. Die Juristin Jeanette McGyver war damals zum ersten Mal ins Parlament gewählt worden und inzwischen Ehrenvorsitzende des britischen Büros der Vereinigung äthiopischer Rechtsanwältinnen, die unter schwierigsten Bedingungen gegen die an der Tagesordnung stehenden gewaltsamen Übergriffe auf Mädchen und Frauen kämpften. Zaghaft machte das Land Fortschritte, doch die Situation blieb fragil. Jeanette McGyver nahm ihr Ehrenamt sehr ernst, hatte viele Pressekampagnen angezettelt und von ihrem Platz auf der Oppositionsbank aus Eingaben im Parlament gemacht, mit der sie das britische Außenministerium zum Handeln aufforderte, denen allerdings die Mehrzahl der männlichen Abgeordneten nur mit zynischen Kommentaren folgten. Für die NGO, das wusste Miriam, wäre ein imageschädigender Angriff auf die Abgeordnete ein herber Schlag.
    »Also, was ist zu tun?«,
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