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Keine Angst vor Anakondas

Keine Angst vor Anakondas

Titel: Keine Angst vor Anakondas
Autoren: Lutz Dirksen
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und der schuppige Ruderschwanz. Ein Kloster mit 50 Mönchen hatte sicherlich einen Bedarf von 500 Bibern während der Fastenzeit. Und es gab viele Klöster! Während der Biber bei uns also fast ausgestorben war, ist er in Südamerika zur großen Plage avanciert.«
    Ich sehe in Jörgs ratlosem Gesicht Verwirrung. »Biber kommen in Südamerika nicht vor! Meinst du jetzt Wasserschweine, Agutis oder etwa noch andere Nager?«
    Ich sehe ihn triumphierend an, klappe den Laptop zu und lehne mich an den Baumstamm hinter mir. »Dann erzähle ich dir jetzt mal etwas von der Invasion Feuerlands!«
Bibertango
    Feuerland an der Südspitze Südamerikas. Eine kleine Gruppe Biber läuft einen Biberpfad an einem See entlang. Es ist Nacht, Wolken ziehen vorbei. Ab und an schimmert das trübe Licht des Halbmonds durch die Wolkendecke. Dies ist für die tagsüber ruhenden Biber eine Nacht, wie sie normaler nicht sein könnte. Zuerst werden sie hier und da Gräser und Kräuter fressen oder an saftiger Rinde knabbern und sich so die Mägen füllen. Muttertiere werden sich um ihre Jungen kümmern. Vatertiere wiederum werden dafür sorgen, dass es den Muttertieren nicht langweilig wird. Das sollte man aber jetzt nicht falsch verstehen, denn Biber leben monogam. Später werden sie tun, was schon unzählige Generationen von Bibern vor ihnen auch gemacht haben: Sie werden ihre Nagezähne ins Holz hauen. Sie werden raspeln und hobeln, dass die Späne nur so durch die Luft fliegen.
    Doch Biber nagen nicht planlos mal hier ein wenig und fällen dann da mal einfach so einen Baum. Sie fällen Bäume, um eine Ordnung herzustellen, ihre eigene artspezifische Ordnung. Sie arbeiten nach einem Masterplan, den sie in ihre Wiege gelegt bekommen haben. So wie jede Spinne mit genetisch fixiertem Wissen ein für die jeweilige Art charakteristisches Netz webt, jede Vogelart ein typisches Nest baut und Honigbienen perfekt sechseckige Waben aneinanderreihen. Der Masterplan der Biber hat jedoch weit reichende Konsequenzen. Nacht für Nacht fällen sie Bäume, beißen sich passende Äste zurecht und schichten sie zu Dämmen auf, die das Wasser stauen und so bald aus einer Flusslandschaft ein Seengebiet machen. Ganze Landstriche gestalten sie so zu ihrem Vorteil um. Die Biber erschaffen sich ihr eigenes Burgenland. In einem Nationalpark in den USA wurde ein Biberdamm von über 800 Metern Länge entdeckt. Viele Bibergenerationen müssen daran gearbeitet haben.
    Die Nagetiere haben eine genaue Vorstellung davon, wie sie mit ihren Konstruktionen aus Stöcken und Schlamm Kanäle und Seen schaffen und den Wasserstand ihrer Seen regulieren. Dies ist einzigartig im Tierreich. Sollte jemals ein Forscher auf die Idee kommen, einen Biber in die Röhre eines Magnetresonanztomografen zu stecken und ihn da drin einen Ast durchnagen zu lassen, würde der Forscher vermutlich stolz verkünden können, dass er entdeckt hat, dass beim nagenden Biber im Gehirn insbesondere die Region aktiv ist, die dem räumlichen Denken zugeordnet wird.
    Die Mitglieder unserer feuerländischen Bibergruppe haben also viel zu tun, doch nichts deutet darauf hin, dass sie ihre Arbeit nicht gerne erledigen würden. Sie huschen am See entlang, schnuppernd, neugierig und voller Tatendrang. Alles scheint in der Biberwelt am Bibersee in bester Ordnung zu sein. Doch plötzlich bleiben die Tiere irritiert stehen und betrachten verwundert das einsame kleine Bäumchen mitten auf ihrem ausgetretenen Biberpfad. Wäre es stockfinster gewesen, der vorderste Biber der tatendurstigen Bibergruppe wäre womöglich mit der Nase voran gegen den Baum gelaufen, der da plötzlich vor ihnen aufgetaucht ist. Die Biber kennen ihre Umgebung genau und wissen, dass dieser Baum hier vorher nicht stand. Die Bäume in der näheren Umgebung ihrer Burg hat die Sippschaft längst alle gefällt. Alles Vertikale ist längst ins Horizontale gebracht und dann weiterverarbeitet worden. Argwöhnisch schnuppern sie am Bäumchen, das auf so wunderliche Weise erschienen ist, trollen sich dann aber, um wieder ihrem nächtlichen Treiben nachzugehen.
    Baum ist Baum, ob urplötzlich erschienen oder nicht, mag sich in der darauffolgenden Nacht ein Biber gedacht haben, der an dem Stamm nagte, bis der Baum ins Wasser kippte und von ihm zerlegt und abtransportiert wurde. Der Masterplan eines Bibers lässt einfach keinen einzelnen Baum zu, der so verführerisch am Uferrand nahe der Biberburg steht. Ordnung muss sein!
    Uwe Müller betrachtet am nächsten
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